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Im Gespräch mit Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder
 
       
       
Klaus Albrecht Schröder

Direktor der Albertina

Kultur
04.06.2021
Prof. Dr. Klaus Albrecht Schröder wurde 1955 in Linz geboren und studierte Geschichte sowie Kunstgeschichte an der Universität Wien. 1985 war er Gründungsdirektor des Kunstforum Wien und von 1996 bis 1999 Direktor des Leopold Museum. Seit 1999 ist er durchgehend Direktor der Albertina, welche als eines der bedeutendsten Kunstmuseen der Welt bezeichnet werden kann.

Der deutsche Aktionskünstler, Bildhauer, Zeichner und Kunsttheoretiker Joseph Beuys meinte einst: »Mit dummen Fragen fängt jede Revolution an.« Was wäre die dümmste Frage, mit der wir dieses Interview beginnen könnten?

Warum führen Sie eine grafische Sammlung, wenn Sie ein ganz anderes Museum daraus gemacht haben?

Wie lautet die Antwort?

Weil die grafische Sammlung die Achillesferse der Albertina war, die das Vertrauen des Publikums verloren hat. Sie war obsolet, was die Entwicklung der Kunst in der Entwicklung ihrer Multimedialität betrifft. Daher musste sie, neu positioniert, total transformiert werden. Der Tipping Point, der Kipppunkt, an dem die Transformation und die Erneuerung der Albertina diese zu einem ganz anderen Museum gemacht haben als dem, welches ich vor über 20 Jahren übernommen habe, ist nicht erreicht gewesen, als ich die Unteilbarkeit der künstlerischen Zeichnungen – Arbeiten auf Papier – mit Gemälden zusammengeführt habe. Die ist nicht erreicht gewesen, als ich zum ersten Mal eine Schausammlung der Moderne, von Monet bis Picasso, etabliert habe. Sie ist erreicht worden, als ich die Albertina Modern gegründet habe und die zeitgenössische Kunst so vergrößert habe, als sie mit 65.000 Werken von 5.000 Künstlerinnen und Künstlern eines der größten Museen der Gegenwartskunst überhaupt geworden ist. Das ist die Zukunft der Albertina! Die grafische Sammlung ist weiterhin ein Rückgrat, das uns hilft und bedeutend ist. Aber als solches ist sie so untergegangen wie das Zeitalter der Kathedralen oder jenes der Pyramiden.

Sie sind seit 1999 Direktor der Albertina. Wenn man so lange Direktor eines Hauses ist, wird es einem nicht irgendwann langweilig?

Das ist jetzt die zweitdümmste Frage. Die logische Frage wäre gewesen, ob man nicht in Routine erstarrt, weil man alles kennt und irgendwann einmal ausgetauscht werden muss. Auf die Frage hätte ich geantwortet, dass das vollkommen richtig ist, es nur nicht auf mich zutrifft, weil ich die Albertina alle fünf Jahre radikal weiterentwickelt und schließlich komplett verändert habe! Das war vom ersten Tag an mein strategisches Ziel. Wir können nur überleben, wenn wir aus 7.000 Besuchern im Jahr 700.000 oder eine Million und darüber hinaus machen! Daher ist die Gefahr der Erstarrung in der Routine nie vorhanden gewesen. Langeweile ist deswegen eine irrelevante Frage. Sobald einem CEO, einem Unternehmensführer oder einem Museumsdirektor der Job langweilig wird, sollte er ohnehin gehen. Im allerschlimmsten Fall muss er gegangen werden, weil einem CEO der Job nicht langweilig sein darf! Wenn der bereits gelangweilt ist von dem, was er tut und was er für andere tut, wie kann er denn dann erwarten, dass er hunderte Mitarbeiter mitziehen und motivieren kann und ein Unternehmenserfolg resultiert? Langeweile ist für viele Menschen wahrscheinlich eine Kategorie. Für ein Top-Management hoffentlich nicht!
Im Interview: Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder

Was war in all den Jahren die größte Herausforderung, mit der Sie konfrontiert waren?

Gegen permanenten, andauernden und ununterbrochenen Widerstand das Ziel weiterzuverfolgen und erfolgreich zu erreichen. Die Transformation eines Kupferstichkabinetts, das ein Studiensaalbetrieb mit angehängter kleiner Ausstellung war, hin zu einem großen, breiten Museum für Millionen von Besuchern. Trotz des Widerstands dabeizubleiben! Warum ist das geglückt? Ich war nicht alleine. Ich war zwar vielfach mit Widerstand konfrontiert, aber die Steigerung der Besuchszahlen an der Kasse hat diesem Kurswechsel Tag für Tag recht gegeben. So gesehen war die größte Herausforderung, sich mit Kraft und Energie aufrecht zu halten in der Totenstille der Pandemie. 

Kann man Erfolg wirklich an der Kommerzialisierung messen? Wenn es danach ginge, müsste der ORF eine amerikanische Serie nach der anderen senden.

Also beim ORF tu ich mir jetzt schwer. Was spräche dagegen, dass der ORF ein guter Sender wäre?

Mit amerikanischen Sendungen?

Mit welchen Sendungen auch immer, das muss ja nicht so schlimm sein. Es gibt ja immerhin zwei bis drei gute Sender auf der Welt. Viel mehr sind es ja nicht. Warum sollte der ORF also nicht auch einer davon sein?

Ich weiß jetzt allerdings nicht, warum die Zählung von Besuchern als Kommerzialisierung beschrieben wird. Wahrscheinlich ist die Folge einer großen Nachfrage auch ein kommerzieller Erfolg. Aber umgekehrt wird ja kein Schuh daraus. Und natürlich bringen eine Million Besucher einem die Chance, ein Programm umzusetzen, Ankäufe tätigen zu können, Umbauten vornehmen zu können und Investitionen zu tätigen, die man mit 7.000 Besuchern nicht vornehmen kann. Dann hat man eben 60 Mitarbeiter und nicht 300. Dann hat man eben nur Ankäufe im Wert von 15.000 Euro und nicht von sieben Millionen Euro im Jahr! Dann hat man eben nur Prunkräume, die devastiert und leer sind und nicht restauriert mit den Originalböden um 30 Millionen Euro aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert. Aber: Die Kommerzialisierung ist ja nicht das Ziel! Das Ziel ist, etwas zu tun, das die Menschen verändert und das sie relevant finden und sie bereichert. Etwas, das sie emotional-intellektuell und geistig als wichtig für sich empfinden, weil es für sie aktuell ist. 

Das Ziel ist es, etwas zu machen, das die Menschen erreicht. Kunst ist nicht entstanden, um in einem Lager oder Depot zu verschwinden, sondern um gesehen zu werden! Sie will – wie Musik – wirken. Ein Künstler mag sagen, dass er das nur für sich macht, weil es existentiell für ihn entscheidend ist. Das mag schon stimmen. Wenn Kunst aber objektiv auf der Welt ist, ist sie nicht dazu da, im Lager zu überwintern, sondern sichtbar, hörbar und lesbar zu werden. Kommerzialisierung beschreibt das nicht. Ist der kommerzielle Erfolg eine Resultante davon? Na sicher! 
Im Interview: Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder

Weil Sie jetzt davon gesprochen haben, viele Menschen zu erreichen ... 

Ich habe jetzt nur den Erfolg in meiner Branche gezählt und nicht gesagt, dass es darum geht, möglichst viele Menschen zu erreichen! Wenn es mir darum gehen würde, möglichst viele Menschen erreichen zu wollen, wäre ich der Moderator vom Musikantenstadl. Hätte ich eine entsprechende Begabung, wäre ich Keith Jarrett. Hätte ich noch mehr Begabung, wäre ich vielleicht Mick Jagger. Diese Begabung habe ich aber nicht. Die, die ich habe, konnte ich auf meinem Feld aber optimal einsetzen.

Wer seine Begabung auch gut einsetzen konnte, ist der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi.

Finde ich nicht. Wenn man seine Begabung gut einsetzt und man geht dafür jahrelang ins Gefängnis, ist man eher als gescheitert zu beschreiben, oder?

Er hat in 40 Jahren über 300 Gemälde von bis zu 100 Künstlern nahezu perfekt gefälscht.

Das sagen Sie, aber das ist ja deswegen nicht richtig. Außer Ihnen und Beltracchi selbst sagt das ja sonst niemand. Tatsächlich konnte er fünf Max-Ernst-Gemälde erfolgreich einschleusen. Für manche Top-Kenner und Kunsthistoriker war es nicht leicht, diese Fälschungen zu erkennen. Bei dem Bild, an dem er aufgeflogen ist – ein Campendonk –, war das schon ganz anders. Die ganze Kennerwelt hat sich gewundert, dass solch ein schlechtes Bild einen so hohen Preis hat. Fälschungsverdacht gab es keinen, aber die Verwunderung über das schlechte Bild war groß. Alles andere von ihm ist so grottenschlecht, dass er sicherlich zu den schlechtesten Fälschern gehört, die man namentlich kennt. Für die heutigen Begriffe hat er sicherlich die größtmögliche Öffentlichkeit, in den 70er-Jahren gab es allerdings wesentlich populärere und viel bekanntere Fälscher als ihn. Von Han van Meegeren, dem Vermeer-Fälscher, nach dem Zweiten Weltkrieg ganz zu schweigen. Wenn es jemand mit seiner Arbeit schafft, einige Händler zu ruinieren, finanziellen Schaden anzurichten und ins Gefängnis zu kommen, dann möchte ich nicht mal am Horizont von einem Erfolg sprechen. Aus meiner Sicht ist das nicht nur ein kriminelles Leben, es ist ein gescheitertes Leben. Daran gibt es nichts, was ich als vorbildhaft sehen würde.
»Wir besitzen 1,1 Millionen Kunstwerke, und damit tausende bis zehntausende Fälschungen«

Können Sie ausschließen, dass früher oder später wieder eine Fälschung in der Albertina ausgestellt sein wird oder aktuell vielleicht sogar eine ausgestellt ist?

Nein, das kann ich natürlich nicht ausschließen. Wir besitzen 1,1 Millionen Kunstwerke, und damit tausende bis zehntausende Fälschungen. Die Albertina wurde am 4. Juli 1776 gegründet. Gerade im Gründungsjahrhundert der Albertina bis ca. 1850 wurden unheimlich viele große Meister gefälscht. Wir haben in unserem Inventar über 350 Leonardo da Vincis, wovon wir tatsächlich nur 4 besitzen, was in der Relation viel ist. Daher kann man Fälschungen natürlich nicht ausschließen. Ich habe sogar einmal einen Beltracchi in der Albertina gehabt, eine Pechstein-Fälschung. Wir haben das Gemälde von einem anderen Museum geliehen bekommen und die Echtheit damit gar nicht in Frage gestellt. Also ja, das kann passieren, und man kann es unmöglich ausschließen.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie erfahren haben, dass Sie eine Fälschung ausgestellt haben?

Als bekannt wurde, dass alle Beltracchi-Fälschungen auf der Hinterseite eine schlechte Provenienz-Angabe einer Sammlung Jägers hatten, haben wir gleich geschaut, ob wir jemals solch ein Werk in unsere Sammlung bekommen haben. Auch wenn wir es durch eine andere Sammlung bekommen haben und es niemals ausgestellt wurde. Ich war vom ersten Tag an sofort mit der Berliner Kriminalpolizei laufend in Verbindung, weswegen ich auch die 124 Bilder kenne, die man von Beltracchi identifizieren konnte. Da sind teilweise wirklich grottenschlechte dabei, die daher auch niemals öffentlich ausgestellt waren und nur in kleinen Privatsammlungen verschwunden sind. Die Leute dachten, sie hätten einen billigen Kandinsky bekommen. Er war nicht nur billig, er war schlecht und gefälscht. Beim Fall Max Ernst war es dramatischer. Er hatte wahnsinnig viele stilistisch inkohärente Methoden und war in sich widersprüchlich, womit die Beltracchi-Fälschung die Möglichkeit eines Originals hatte.

Braucht die Kunstwelt Fälscher?

Nein. Hat sie sie? Ja. Braucht es schlechte Burger, in denen kaum Rindfleisch ist? Nein. Gibt es sie? Ja. Braucht es Eier, die aus der Massentierhaltung kommen? Nein. Gibt es sie? Leider ja. Braucht es Fälschungen? Nein, natürlich nicht. Wir brauchen auch keine falschen Louis-Vuitton-Taschen. Dennoch haben wir sie.

In der Kunstwelt verhält es sich allerdings anders. Gerade wenn ein riesiger Fälschungsskandal in den Medien rauf- und runtergespielt wird, erhalten auch Museen eine gewisse Publizität. Gerade dieses Mutmaßen, ob man im Museum vor einer Fälschung steht oder nicht, übt doch auch einen Reiz beim Laien aus.

Auf der Welt ist nicht ein Besucher mehr ins Museum gegangen, weil Beltracchi geboren wurde. Das kann ich Ihnen garantieren. Der Louvre hat nicht zehn Millionen Besucher im Jahr, weil Beltracchi ein schlechter Fälscher ist. Die Albertina hat nicht eine Million Besucher im Jahr, weil Beltracchi eingesperrt worden ist. Er ist eingesperrt worden und hat danach probiert, das Beste aus seinem kriminellen Status zu machen. Das ist ihm unbenommen. Aber schon wir machen hier jetzt den Fehler – was ehrlicherweise nicht an mir liegt –, über eine irrelevante Person, die nicht mal ein Hintertreppenwitz der Geschichte ist, viel zu lange zu reden. Wenn man sich überlegt, was in einem Museum wichtig ist und was auf der Welt alles geschieht, dann zählt das wirklich nicht dazu.
Im Gespräch mit Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder

Dann schließen wir das Thema hiermit ab und kommen zu einer ganz konkreten Frage: Welches ist das teuerste Kunstwerk, das jemals in der Albertina ausgestellt war?

Das waren sicherlich einige van-Gogh-Gemälde während der großen van-Gogh-Ausstellung. Die hatten Versicherungswerte jenseits der 100 Millionen Euro. Auch Matisse- oder Picasso-Gemälde kommen zu unseren Ausstellungen. Möglicherweise wären es auch Werke von Dürer gewesen – der Feldhase oder die betenden Hände. Da sie aus unserem eigenen Bestand sind, sind diese allerdings nicht versicherbar, da es sich um Bundeseigentum handelt und damit das Prinzip der Nicht-Versicherbarkeit gilt. Wäre es möglich, hätten sie einen Versicherungswert zwischen 70 und 120 Millionen Euro.

Bei welchem Kunstwerk, wenn Sie davorstehen, vergessen Sie die Welt um sich herum?

Bei keinem. Für mich ist ein Kunstwerk eine paradoxe Symbiose aus Weltverlorenheit – nach der Sie zu Recht fragen – und Weltversenkung. Die Weltverlorenheit ist ein ganz wichtiger Aspekt, da man in eine Welt eintritt. Gleichzeitig bleibt man aber in seiner Welt. Die Bedeutung des Kunstwerks hat es ja nicht, weil es Weltflucht darstellt, sondern weil es vollgesogen ist – bis in die letzte Faser hinein – mit Welt. Für mich, für Sie und für jeden ist dieses intensive Erlebnis relevant, weil es die eigene Welt ist, der man plötzlich begegnet. Es ist eine paradoxe Situation des Aus-sich-Heraustretens in eine völlig andere, imaginierte Welt, die nur so wichtig ist, weil sie mit der eigenen so verankert, so verknüpft und so verbunden ist, sodass Sie nie von einer Weltverlorenheit sprechen können. Sie sind immer in Ihrem Leben, in Ihren existentiellen Sorgen, in Ihrem Liebeskummer, Ihren Schmerzen, Freuden und Leidenschaften, wenn Sie in die der anderen eintreten. Die Musik, die Sie Ihre Welt vergessen lässt, wie wir das beschreiben, die gibt es wahrscheinlich nur bei einem LSD-Rausch. Und in dem verfolgen einen letzten Endes die Pfützen der Realität.
»Ein Kunstwerk ist eine paradoxe Symbiose aus Weltverlorenheit und Weltversenkung«

Wenn Sie vor einem Bild stehen, hatten Sie schon einmal den Wunsch oder das Bedürfnis oder die Idee, wie bei einem Science-Fiction-Film über das Portal des Bildes in eine fremde Welt einzutauchen?

Das habe ich laufend! Nur nicht bei einem Kunstwerk, sondern bei Epochen. Natürlich möchte ich nicht heute leben. Ich möchte im 16. Jahrhundert in Florenz leben. Ich möchte im 18. Jahrhundert in Venedig leben. Ich möchte im 19. Jahrhundert in London leben. Ich möchte im späten 19. Jahrhundert in Paris leben. Nur nicht heute.

Romantisieren Sie die Vergangenheit nicht ein wenig?

Selbstverständlich! Deswegen möchte ich ja dort leben. Natürlich denke ich nicht darüber nach, im Mittelalter als Leibeigener eines Fürsten, der mich drei Stunden am Tag schlägt, zu leben. Natürlich denke ich nicht daran, mit wahnsinnigen Zahnschmerzen, ohne Zahnarzt, in der Vergangenheit zu leben. Natürlich blende ich all das aus, was meine Gegenwart heute so banal und trivial erscheinen lässt! Ich konzentriere mich auf die Wunschbilder, die die Vergangenheit zu einem Sehnsuchtsland machen. Das ist weniger erstaunlich als die Voraussetzung schlechthin jeglicher erträumter Wunschbilder. Durch die damals herrschende Realität wird das nicht widerlegt. Kein Wunsch und keine Fiktion wird durch die Realität widerlegt. Die Realität wird durch das Ideal widerlegt. Die Realität scheitert also am Ideal, während das Ideal nie an der Realität scheitert. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung hatte mit der Gleichheit aller Menschen nicht unrecht, nur weil Thomas Jefferson Sklaven hatte. Das Ideal war größer als die Realität und ist bis heute unerreichtes Korrektiv der Realität.
»Die Realität scheitert am Ideal, während das Ideal nie an der Realität scheitert«

Was haben Sie im Hier und Jetzt nicht erreicht? Wo ist das Ideal in Ihrem Leben höher als die Realität?

Als Manager beschäftige ich mich mit den Zielen, die wir erreichen wollen, und wie wir sie erreichen. Ich beschäftige mich nicht mit den Fragen, die ich nicht habe, und mit den Zielen, die ich nicht erreichen möchte. Ich habe nur Ziele, die ich erreichen kann, und führe keine Schlachten, die ich nicht gewinnen kann. Aber ich gehe auch einem Krieg, den ich gewinnen werde, nicht aus dem Weg.

Künstler sollen im Umgang schwierige Persönlichkeiten sein. Wie geht es Ihnen als Manager, wenn Sie direkt mit Künstlern zu tun haben?

Als Manager habe ich nie mit Künstlern zu tun. Als Kunsthistoriker und als Museumsdirektor habe ich mit Künstlern zu tun. Zweiteres ist scheinbar der Manager. In Wahrheit ist es nur die Autorität des Direktors, die einem das Privileg verleiht, jeden Künstler treffen zu können, den ich treffen will. Wenn ein Normalsterblicher Gerhard Richter, Richard Serra, Robert Longo, Jim Dine, Cindy Sherman oder Gerard Basil treffen will, wird er sie nicht treffen können. Das ist wirklich ein großes Privileg, dessen ich mir bewusst bin. Es ist die Position, die ich auch zu dem gemacht habe, was sie heute ist. Nämlich, dass die Tür für den Direktor der Albertina offen ist. Das ist allerdings nie eine Management-Begegnung mit dem Künstler. Der Galerist des Künstlers muss ihn managen. Ich muss ihn nur lieben! Es ist immer die Begegnung mit einem sensiblen Menschen. Ich erkenne an, dass der Mensch, dem ich begegne, mir und der Menschheit etwas gibt, das einzigartig ist. Das ist großartig! Für mich sind diese Künstler allesamt nie schwierig, sondern eine Bereicherung. Nach einem Treffen bin ich voll mit ihren Erfahrungen, Fantasien, Überlegungen, Gedanken, Irrtümern und Fehleinschätzungen unserer Gegenwart. Es sind intensive Begegnungen.
Im Talk mit Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder

Welches Kunstwerk würden Sie gerne in der Albertina ausstellen, von dem Sie aber jetzt schon wissen, dass das niemals passieren wird?

Guernica von Picasso zum Beispiel, da es nicht reisefähig ist. Das würde ich sehr gerne ausstellen. Auch das Frühstück von Manet würde ich gerne ausstellen, und auch das ist nicht reisefähig. Die Fresken von Piero della Francesca in Arezzo können auch nicht auf Reisen gehen. Konstantins Zyklus würde ich gerne ausstellen, kann ich aber so wenig transportieren wie den Eiffelturm oder die Cheops-Pyramide. Wenn ich jetzt weitermache, würden wir noch drei Tage hier sitzen.

Wie umfassend ist Ihre private Kunstsammlung?

Sie ist kleiner, als ich mir wünschte, und größer als wahrscheinlich von vielen Menschen, die ein Zweitbuch besitzen. Es ist eine Sammlung, die nicht unbedingt mit dem Inhalt der Albertina zu tun hat. Ich liebe Skulpturen. Ich habe eine besondere Affinität zu Skulpturen des 15. und 16. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert. In dem Gebiet kann man Hauptwerke erwerben, weil sie nicht die Höchstpreise von Gemälden erzielen. Eine Skulptur aus dem 16. Jahrhundert kostet einen Bruchteil eines Gemäldes aus dem 16. Jahrhundert. Eine Skulptur kann man sich also leicht kaufen, wenn sie nicht gerade von Jeff Koons ist. Aber jeder Gerhard Richter kostet gleich 20 oder 30 Millionen. Ein Basquiat kostet 80 bis 100 Millionen.
»Einen Tag möchte ich gerne Hitler sein, Selbstmord begehen und der Welt viel ersparen«

Angenommen, Sie hätten in der Vergangenheit frei wählen können, von welchem Haus Sie Direktor sein hätten können. Welches wäre es gewesen, wenn auch nur für einen Tag?

Einen Tag möchte ich gerne Hitler sein, Selbstmord begehen und der Welt viel ersparen. Aber ansonsten gibt es ernsthaft nichts, das ich nur für einen Tag sein wollte.

Dann anders gefragt: Wenn es nicht die Albertina wäre, wo wären Sie stattdessen über 20 Jahre Direktor gewesen?

Das hat sich über die Jahrzehnte meiner beruflichen Laufbahn sicherlich geändert. Es gab eine Zeit, da wollte ich Direktor des Nolde Museums in Seebüll in Schleswig-Holstein sein. Dort wäre ich nicht nur Herr über die wunderbaren Gemälde und Aquarelle des Emil Nolde gewesen, sondern auch über tausende Schafe. Das gehört dort zu den Pflichten des Direktors, der das Wohn- und Atelierhaus von Nolde betreut. Später wollte ich Direktor des Metropolitan Museum sein, bis mir klar geworden ist, dass ich nie und nimmer Direktor eines amerikanischen Museums sein möchte. Ich hatte die eine oder andere Anfrage aus den USA. Dort ist man vom Frühstück bis spätnachts mit Geldauftreiben beschäftigt. Dort kann man nicht, wie ich es hier mache, jede Ausstellung umsetzen und jedes Werk in der Hand haben. Ich leiste unmittelbar kuratorische Arbeit. Heute gibt es einige Lieblingsmuseen, deren Führung und Veränderung ich sehr gerne übernommen hätte, aber dazu bin ich jetzt zu alt. Und die Namen werde ich Ihnen nicht nennen, weil ich den Kollegen nicht ausrichten möchte, dass sie ihre Modernisierung verschlafen haben.
Im Interview: Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder

Wenn ich richtig informiert bin, sind Sie noch bis 2024 Direktor der Albertina. Bauen Sie Ihren Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin selbst auf, oder sagen Sie: »Hinter mir die Sintflut, das interessiert mich wirklich nicht!«?

Beides ist falsch. Ich baue nicht auf, und ich sage nicht: »Hinter mir die Sintflut«, denn das ist eine Entscheidung des Eigentümers, die der CEO nicht bestimmen kann. Wenn um Rat gefragt wird, bin ich dazu mehr als bereit. Ich kann einige Persönlichkeiten des Kunstlebens nur dazu ermuntern, diese Stelle anzustreben und sich zu bewerben. Die Berufung erfolgt aber einzig und allein durch den Eigentümer und nicht durch den Vorgänger.

Haben Sie überhaupt vor, dass mit 2024 Schluss ist?

Na, ich hoffe nicht, dass dann Schluss ist!

Nicht mit Ihnen persönlich!

In der Albertina ist meine Aufgabe sicherlich nicht erledigt. Nach mir wird es genug zu tun geben. Da ich dann in meinem 70. Lebensjahr bin, werde ich diese Arbeit dann nicht mehr übernehmen.

Was folgt dann? Michael Häupl meinte in einem Interview nach seiner aktiven politischen Karriere, dass er nun mehr Zeit für den Garten seiner Frau hat.

Ich gehöre zu jenen Menschen, die sich den Luxus leisten können, sagen zu dürfen, dass ich dann lesen kann. Die meisten sagen das ja nur, wobei sie gar nicht lesen können. Üblicherweise verlernen Top-Manager mit sehr großer Verantwortung das Lesen. Die sind gewöhnt, dass sie halbseitige Memos bekommen und einseitige E-Mails zurückweisen. Dann sagen sie, dass sie in der Pension endlich zum Lesen kommen. Dabei ist das ja wie Training. Wenn man nicht jeden Tag drei, vier oder fünf Stunden liest, verlernt man es. Ich lese jeden Tag! Daher weiß ich, dass ich trainiert bin. Und ich freue mich schon auf den Augenblick, noch mehr und noch länger lesen zu können. Lesen wird sicherlich einen der größten Teile meines vorletzten Lebensabschnitts einnehmen.

Das erinnert mich an einen Satz, den Christoph Schlingensief einmal bemüht hat. Er meinte: »Tut mir leid, ich kann jetzt nicht. Ich muss denken.«

Das sage ich oft. Heute zum Beispiel erst in der Früh zu meiner Frau. Sie hat mich etwas gefragt, und ich habe ihr gesagt: »Du, ich kann jetzt nicht, ich muss nachdenken.« Wenn man redet, muss man normalerweise nicht sagen: »Bitte unterbrich mich nicht, ich muss gerade reden.« Weil man ja hört, dass der gerade redet. Man sieht Menschen manchmal aber vielleicht nicht an, dass sie gerade intensiv über etwas nachdenken. Momentan bewegt mich eine Frage wahnsinnig! Wenn so etwas der Fall ist, ist die Frage nach dem Abendessen nicht nur irrelevant, sondern störend.

Verraten Sie, welche Frage das ist?

Ich bin heute wieder sehr früh aufgestanden, um halb fünf. Ich habe mich in den ersten Stunden sehr intensiv mit den Kipppunkten der Klimaveränderung, Schmelzeffekten und Ähnlichem mehr beschäftigt. Dabei hat mich dann interessiert, ob es in der Transformation der Albertina einen Punkt gegeben hat, gibt oder geben wird, an dem die Neupositionierung an jenen Tipping Point gekommen ist, an dem sie irreversibel ist. Wie der Tipping Point bei der Klimaerwärmung, bei dem das äußerste Schild des Grönlandeises oder das nordwestliche Eisschild der Antarktis so weit abgeschmolzen sein wird, sodass es kein äußeres Stoppschild mehr geben wird, selbst wenn es ab dem Zeitpunkt keine weitere Erwärmung mehr geben sollte.

Bezogen auf die Albertina habe ich mich gefragt, ob ihre Transformation soweit gegangen ist, dass eine Missentscheidung eines Politikers oder Nachfolgers die Neupositionierung der Albertina nicht mehr verändern kann. Diese Frage interessiert mich sehr, und die ist sehr wichtig. Ich konnte sie für mich bejahen und werde Ihnen nicht anführen, was es zu welchem Zeitpunkt genau bedeutet.

Wird der Tipping Point noch während Ihrer Zeit sein oder nach 2024?

Wenn er nach meiner Zeit wäre, könnte er ja aufgehalten werden.

Von Ihnen.

Von mir nicht. Nach meiner Zeit kann gar nichts mehr aufgehalten werden. Das muss schon in meiner Zeit sein. Ich habe ja auch nicht angeführt, ob er nicht vielleicht schon gewesen ist.
»Jeder Gewinn ist mit einem Verlust erkauft«

Sie haben auch nicht angeführt, ob der Tipping Point positiv oder negativ ist. Man kann jetzt nur interpretieren, dass er, durch den Vergleich mit dem Klimawandel, ein negativer ist. Genauso gut könnte aber auch eine positive Entwicklung gemeint sein, die nicht mehr umkehrbar ist.

Das ist eine Frage, die die Nachwelt zu entscheiden hat. Hat das, was irreversibel in die Wege geleitet worden ist, positive Folgen oder negative? Jeder Gewinn ist mit einem Verlust erkauft. Das mag wie eine Plattitüde klingen, hat aber schon seinen tieferen Sinn. In der Regel sind Verluste auch mit einem Gewinn zu verbuchen. Wenn eine bestimmte Kunstgattung stirbt, wie zum Beispiel die Kathedralsgotik, ist das ein Verlust. Gleichzeitig ist etwas anderes entstanden, nämlich das Jahrhundert der Kathedralsskulptur. Die Skulptur als epochaltypische Entäußerung des menschlichen Geistes und dessen Imaginationskraft ist dann wieder untergegangen. An dessen Stelle ist dann die Malerei getreten. Wenn wir heute sagen, was alles verloren gegangen ist, dann würde ich das glauben. Es gibt heute einzelne gute Filme, aber der Film an sich ist verloren gegangen. Dafür ist die Serie an seine Stelle getreten. Die Lyrik ist verloren gegangen. Dass Lyrik heute das Leben verändert, kann wirklich nicht gesagt werden. Die Leiden des Werther sind vorbei! Und Goethe liest heute auch kein Mensch mehr ernsthaft. Die Oper hatte ihre große Zeit zwischen 1770 und 1910. Ich bin kein Fan der Pop-Musik. Dennoch kann man nicht sagen, dass sie nicht auch ein Gewinn ist.

Heißt das, dass die Albertina in Zukunft einen Bereich braucht, in dem unique Codes des digitalen Zeitalters betrachtet werden können?

Nein, das ist zu klein gedacht, bezogen auf die Wirkung. Es ging mir darum, ob aus einer grafischen Spezialsammlung ein komplexes Museum mit anderen Medien werden kann, und ob die zeitgenössische Kunst die Zukunft für die Albertina darstellt, obwohl sie als solches Museum nicht gegründet worden ist. Auch wenn der größte Teil des Gründers Albert Kasimir von Sachsen-Teschen für ihn damals zeitgenössische Kunst war. Weil: Alle Kunst war einmal zeitgenössisch. Um diese Fragen geht es, die nun zu weit und zu tief führen würden.

Wenn man Interviews mit Ihnen oder Zeitungsberichte über Sie liest, dann nimmt man Sie – was auch während unserer heutigen Begegnung spürbar ist – als kritischen Geist wahr, der sich mit der Welt auseinandersetzt und der auch nicht verlegen ist, Kritik zu äußern. Wenn Sie nun unser Gespräch hernehmen: Wie lautet die Kritik, was fehlt Ihnen?

Ganz offen gesagt, hatte ich überhaupt keine Erwartungshaltung. Ich hatte davor eine zweistündige Konferenz und bin dann direkt hierhergekommen, um das Gespräch zu führen. Was mir bei vielen Interviews leidtut, ist, dass man zu vielen Sachen, die irgendwo gelesen wurden, befragt wird. Ich hingegen würde von jemandem wie mir wissen wollen, was derjenige geben kann mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung. Und nicht: Wie reagiert derjenige auf etwas? Das ist ja dann fast wie bei einer Billardkugel, die man anstößt. Ihr Eingangsstatement nehme ich hin wie schlechtes Wetter. Zu einem Begriff fällt mir etwas ein oder halt nicht. Das wäre so, als wenn man Mozart zu seinem Nebenbuhler am Hof befragt anstatt zum Warum einer Komposition einer Arie, die zwanzig Minuten lang dauert. Dann muss er auf solch eine blöde Frage eine blöde Antwort geben. Das tut mir bei Interviews oft leid. Warum fragt man einen Menschen nicht, was er von sich aus zu geben hat? Wenn ich ein Kunstwerk betrachte, frage ich ja auch nicht, was daneben hängt, sondern was mir das Kunstwerk geben kann. Gleichzeitig rezensieren wir Ausstellungen nicht danach, was sie uns geben, sondern nach dem, was uns darin fehlt. Davon wird man nicht reicher. Abschließend sei gesagt: Zu einem Exegeten dieses Interviews möchte ich nicht werden.

Lieblings-

Buch: Sherlock Holmes (Arthur Conan Doyle)
Song: Blowin’ in the Wind (Peter, Paul and Mary / Janis Joplin)
Schauspieler/in: Grace Kelly in »Rear Window«
Motto: Wenn ich schon auf der Welt bin, versuche ich, das Beste daraus zu machen. 
Autor/in: Thomas Mann, Konrad Paul Liessmann
Serie: Fargo 1, Fargo 2, The Americans, Breaking Bad 
Stadt: Butte in Montana
Land: USA
Gericht: Ist mir nicht wichtig.
Getränk: Ist mir nicht wichtig.

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Weiß ich nicht. Es ist niemand mir nahe Stehender gestorben, und da ich nicht Lotto spiele, habe ich auch keinen Gewinn gemacht. Beides wäre mir wahrscheinlich in Erinnerung. Ansonsten bilanziere ich meine Wochen nicht.

Berufswunsch als Kind

Als Kind und Jugendlicher wollte ich Maler werden. Später dann Schauspieler und Dirigent. Das waren meine größten Berufswünsche, die ich nicht in Erfüllung gebracht habe.

Wen wollten Sie immer schon mal treffen?

Adolf Hitler zu einem langen Gespräch. Ich könnte jetzt auch andere wie Stalin oder Mao Zedong nennen. Aber erstens war Hitler aus dem deutschsprachigen Sprachraum, und zweitens hat er uns vor Augen geführt, wie aus einem sprachgewaltigen, geistvollen Deutschland höchster Humanität die tiefste Barbarei und Bestialität werden konnte. Die Frage, wie das möglich werden konnte, ist eine, die mich seit vielen Jahrzehnten nicht loslässt. Natürlich war es, wenn ich mich als Historiker damit beschäftige, nicht so, dass er gekommen ist und auf einmal waren alle schlecht, und als er wieder weg war, waren wieder alle gut. Dennoch steht seine Schlüsselrolle außer Frage. Das möchte ich verstehen, auch wenn ich weiß, dass sich das nicht verstehen ließe. Ich hätte sicherlich ein anderes Gespräch mit ihm geführt, als es George Tabori fiktiv mit ihm getan hat. Ich habe tausend Bücher dazu gelesen und bleibe heute noch am Fernseher hängen, wenn über das Dritte Reich berichtet wird. Ich kann dieses Monster einfach nicht begreifen. Der Wunsch, Hitler zu treffen, ist also stärker vorhanden, als Leonardo zu treffen. Picasso möchte ich gar nicht treffen. Thomas Mann vielleicht noch, aber nicht wirklich. Das Wichtigste und Großartigste von ihm kenne ich. Es mag jetzt erschreckend wirken, wenn ich sage, dass ich fasziniert davon bin, Hitler am Obersalzberg lachen und charmieren zu sehen. Wie kann das sein?

Teenie-Schwarm

Lex Barker und Udo Jürgens, aber ein Teenie war ich nie.

Getränk während des Interviews

Stilles Wasser

Ort des Interviews

Albertina Café & Restaurant
Das Albertina Café & Restaurant wird von DO & CO betrieben und befindet sich direkt neben dem Eingangsbereich des Museums. Angeboten werden elaborierte Köstlichkeiten der Wiener Küche, gepaart mit internationalen Gerichten aus der ganzen Welt – und das täglich von 9:00 bis 22:00 Uhr.