Erwin Pröll
Landeshauptmann von Niederösterreich a. D.
Gesellschaft
25.11.2021
25.11.2021
Wie geht es Ihnen als Polit-Pensionist?
Mir geht es wirklich gut! Ich war zu 100 Prozent mit Engagement und Leidenschaft in der Politik. Dennoch habe ich mir vorgenommen, vom einen auf den anderen Tag zurückzutreten und mich tagespolitisch auch nicht mehr zu äußern. Und das hat mir eigentlich niemand zugetraut. Meine Frau und ich haben uns ehrlicherweise auch gefragt, wie es uns damit gehen wird. Und ich muss sagen, uns beiden geht es sehr gut damit! Wir sind zum Glück beide gesund, nützen unsere Freizeit und genießen den Respekt, die Dankbarkeit und das Wohlwollen, das wir tagtäglich von unseren Landsleuten, aber auch in anderen Bundesländern, wie beispielsweise Wien, verspüren dürfen.
Sie selbst haben soeben angesprochen, dass viele Ihnen nicht zugetraut haben, dass Sie sich politisch nicht mehr äußern. Wie oft kitzelt es Sie, sich doch zu äußern? Wie oft denken Sie sich, dass nun eigentlich etwas gesagt werden muss?
Ich bin nach wie vor ein aufmerksamer Beobachter der Tagespolitik und lese regelmäßig die Tageszeitungen. Dabei habe ich dann schon unterschiedliche Gemütszustände. Einerseits freue ich mich, wenn es flott vorangeht. Auf der anderen Seite wundere ich mich mit einem ordentlichen Stirnrunzeln, was dort oder da passiert. Das eine oder andere Mal hat es mir auch schon den Magen umgedreht. Dann bedeutet es tatsächlich eine Überwindung, mich öffentlich nicht zu äußern. Bis jetzt hat meine Disziplin, Gott sei Dank, die Oberhand über mich.
»Ich wundere mich darüber, auf welches Niveau die Kommunikation gesunken ist«
Das heißt, wenn ich Sie nun frage, wo Sie die Stirn gerunzelt haben und wann es Ihnen den Magen umgedreht hat, werden Sie mir keine Antwort geben.
Warum wissen Sie das? (lacht)
Dann frage ich ganz direkt: Wie geht es Ihnen als Alt-Landeshauptmann, wenn Sie rund um veröffentlichte Chats von »alten Deppen« lesen, wenn Sie als Christlichsozialer davon lesen, dass in der Kirche »Vollgas« gegeben werden soll, und wenn Sie lesen, dass Ihr ehemaliger Parteiobmann Reinhold Mitterlehner als »Oasch« bezeichnet wird? Das muss doch mindestens ein Stirnrunzeln oder Magenumdrehen bei Ihnen hervorrufen.
Sie haben vollkommen recht, da geht es mir nicht besonders gut. Ich wundere mich darüber, auf welches Niveau die Kommunikation gesunken ist, und zwar die verbale Kommunikation, aber auch Kommunikation bezogen auf die moderne Technik.
Ist das Niveau nur gesunken oder ist das Niveau einfach nur veröffentlicht worden?
Veröffentlicht kann ja nur etwas werden, was vorhanden war und lesbar ist. Ich gehe davon aus, dass nichts gefaket wurde, sondern diese Veröffentlichungen der Realität entsprechen.
Es wurde behauptet, dass es im politischen Alltag ganz normal sei, sich so auszutauschen. War das früher im Hinterkammerl unter vier Augen nicht vielleicht auch so?
Ich glaube nicht, dass so etwas normal war und auch nicht normal ist! Was es in meiner fast 40-jährigen politischen Tätigkeit schon gegeben hat, war die eine oder andere handfeste Auseinandersetzung. Das ist das Natürlichste auf der Welt. Ich habe aber schon den Eindruck, dass zu meiner Zeit jeder und jede gewusst hat, wo die Grenzen im Umgang mit dem anderen sind. Das gebietet ja schon alleine die Kinderstube und der Respekt vor dem anderen. Egal, ob in der eigenen Gesinnungsgemeinschaft oder in anderen politischen Parteien.
Ich sage Ihnen dazu etwas, was erst vor Kurzem durch die Medien gegeistert ist im Zusammenhang mit einer Unterhaltung zwischen Michael Häupl und mir. Er meinte, dass der G’spritze keine politische Farbe hat und dass es auch heute gut wäre, wenn Politiker mehr G’spritze trinken würden. Daraufhin habe ich gesagt: »Anstatt zu chatten.« Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Ich sage Ihnen dazu etwas, was erst vor Kurzem durch die Medien gegeistert ist im Zusammenhang mit einer Unterhaltung zwischen Michael Häupl und mir. Er meinte, dass der G’spritze keine politische Farbe hat und dass es auch heute gut wäre, wenn Politiker mehr G’spritze trinken würden. Daraufhin habe ich gesagt: »Anstatt zu chatten.« Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Dann keine Frage mehr zu den Chats, aber eine Folgefrage zu einem Austausch zwischen Ihnen und Sebastian Kurz, der schon etwas länger zurückliegt. Angeblich soll Sebastian Kurz Ihnen abschließend zu einem Austausch mitgeteilt haben, dass Sie sich in Zukunft öffentlich etwas mehr mit Aussagen zurückhalten sollen. Stimmt das?
Nein, das stimmt so nicht. Der Hintergrund war folgender: Er meinte, dass ich ein Interview oder Gespräch nicht mit ihm abgesprochen hätte und er es nicht dulde, wenn etwas nicht durch ihn abgesegnet wird. Ich habe ihm daraufhin einfach und klar mitgeteilt: »Für mich gibt es nur eines, das mir den Weg weist, und das ist mein eigenes Gewissen!« Das war eine ganz normale telefonische Auseinandersetzung. In Folge dieses Telefonats hat es eine gewisse Zeit Funkstille gegeben, bis er mich darum gebeten hat, dass wir uns zu einem Mittagessen treffen. Selbstverständlich bin ich mit ihm essen gegangen und wir haben diese Sache ausgesprochen. Damit war das erledigt. Das halte ich für eine vernünftige Umgangsform – mit wem auch immer. Es ist vollkommen klar, dass ein Zusammenleben auch mit Konflikten verbunden ist. Es kommt dann darauf an, dass man den anderen argumentativ überzeugt. Das ist nicht immer möglich, aber den Respekt vor dem anderen darf man niemals verlieren!
Ich habe vor einigen Monaten Politikberater Thomas Hofer zum Interview getroffen. Er meinte, dass politische Kommunikation zunehmend emotionaler, aggressiver und untergriffiger werde und ihn der dominierende Hass der einzelnen Lager aufeinander irritiere. Wie sehen Sie das? Wird sich das noch weiter zuspitzen, bis wieder jemand »Genug gestritten« plakatiert?
Ich teile die Meinung des Thomas Hofer. Das rechtfertigt allerdings nicht das Absinken des Niveaus im Umgang miteinander. Ich hoffe sehr, dass die handelnden Personen relativ rasch zur Überzeugung kommen, dass sich die Umgangsform wieder ändern muss auf breiter politischer Ebene. Wenn das nicht greift, wird es in der Demokratie eines Tages ohnehin zu einem Knall kommen, der letztendlich dazu führen wird, dass man mit dem Kopf hart am Boden aufschlägt. Vielleicht ist man dann in der Lage umzudenken.
Haben Sie einen Zeithorizont vor Augen?
Nein, weil die handelnden Personen in vielfältigster Form auf dem politischen Parkett tätig sind. Ich bin nicht in der Lage, das minutiös einzuschätzen und einen Zeithorizont anzugeben. Eines weiß ich aber: So kann es nicht weitergehen! Ansonsten leiden die Demokratie und das Staatsgefüge. Und wenn das der Fall ist, dann wird eines Tages der Moment erreicht sein, wo die Bevölkerung sagt, dass wir etwas ganz anderes benötigen. Und ich sage Ihnen: So weit darf es nicht kommen!
Sind Sie eigentlich froh, nicht mehr in der aktiven Politik tätig zu sein? Stichwort »Pandemie«, Stichwort »Übergangsregierung«.
Ja, das hängt aber natürlich auch mit meinem Pensionsdasein zusammen. Ich war knapp 40 Jahre – bis zu meinem 70. Lebensjahr – in der Politik tätig. Nach vier Jahrzehnten muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass man ermüdet. Man ermüdet selbst, aber es ermüden auch die Menschen. Egal, ob im Fernsehen, im Radio oder in Zeitungen, ich war Jahrzehnte lang präsent. Ich hatte das Gefühl, auch wenn ich noch so gerne politisch tätig war, an die nächste Generation übergeben zu sollen. Ich bin vom bäuerlichen Berufsstand geprägt. Man muss wissen, wann die Zeit gekommen ist. So gesehen bin ich froh, dass ich politisch nicht mehr aktiv bin. Ansonsten könnte ich mich jetzt mit Ihnen in der Form ja gar nicht so locker unterhalten, wie wir es aktuell tun.
Deswegen habe ich bei Ihnen, als inaktivem Politiker, angefragt. Sie haben sich zu aktiven Zeiten schon nicht vorgeben lassen, was Sie zu sagen haben. Da dachte ich mir: jetzt wahrscheinlich noch weniger.
Sie haben vollkommen recht! Ich genieße das jetzt auch. Die einzige Aufgabe, die ich in meinem jetzigen Status erfüllen kann, ist, die eine oder andere Erfahrung weiterzugeben. Und vielleicht kann ich ab und zu einen Hinweis im Sinne einer Orientierungshilfe abgeben. Das mach ich auch, allerdings losgelöst von der Tagespolitik.
Ich überlege gerade, ob ich Ihnen nun eine sehr allgemeine politische Frage oder eine sehr spezifische stellen soll, bezogen auf Ihren Übergang vom aktiven zum inaktiven Politiker. Was ist Ihnen als erste Frage lieber?
Ist mir egal.
Egal?
Vollkommen wurscht. (lacht)
Ich bin gebürtiger Niederösterreicher und quasi unter Ihrer Amtszeit sozialisiert worden. Man kann Sie mögen, man kann Sie nicht mögen. Was man Ihnen allerdings zugestehen muss: Sie haben Niederösterreich während Ihrer Amtszeit ein gewisses Selbstvertrauen gegeben. Wissen Sie aber, was für mich ein befremdlicher Moment war? Ihr letzter Auftritt bei Armin Wolf in der ZIB 2. War das notwendig? War es notwendig, dass der langjährige Landesonkel so abtritt?
Mit dem Blick zurück wäre es besser gewesen, diese Einladung nicht anzunehmen. Es war meinerseits ein falsches Kalkül. Es war klar, dass ich meine politische Laufbahn beenden werde. Ich war der Meinung, dass es ein Abschlussgespräch wird, im Sinne von: Was habe ich gut gemacht und was ist mir nicht so gut gelungen? Und dann ist ein Streitgespräch daraus geworden, in einer Art und Weise, von der ich sehr überrascht war. Es ging um die leidige Sache der Stiftung. Mein Ziel und meine Hoffnung waren, eine allgemeine Stiftung gründen zu können, um junge Menschen für die theoretische und politische Arbeit im ländlichen Raum auszubilden. Und wie es in der Politik so oft ist, wurde das dann in einem schlechten Licht dargestellt. Kein einziger Cent ist in meine Privattasche geflossen! Ganz im Gegenteil, ich habe Geschenke, die ich zum 60. Geburtstag erhalten habe, dieser Stiftung gewidmet. Nachdem ich zu dem Zeitpunkt schon viele Jahre Landeshauptmann war, hat das Land entschieden, einiges beizusteuern. Ich war der Meinung, dass die Stiftung erst zum Tragen kommen soll, wenn die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist. Solange das nicht der Fall war, wollte ich nicht, dass auf die Stiftung zugegriffen wird, mit ein paar Ausnahmen von schweren Sozialfällen. Aus parteipolitischen Gründen wurde das anders dargestellt. Dass das zum Abschluss meiner politischen Tätigkeit zum Hauptthema gemacht wurde in einer Fernsehsendung, habe ich nicht verstanden! Ich wollte mir keine Punze umhängen lassen, die ich nicht verdient habe. Ich war während meiner gesamten politischen Tätigkeit nicht mundfaul und daher war ich es auch in dieser Sendung nicht. Daraus ist dann ein Streitgespräch entstanden.
Sie hätten auch einfach keine Stellungnahme abgeben können. Stattdessen sind Sie komplett emotional geworden, was bei Politikern selten passiert. Es war für viele überraschend, dass Sie sich aus der Reserve locken haben lassen.
Ich war nie der Typ dazu, mich wegzuducken und mich an einer Frage vorbeizuschleichen. Der war ich nicht und der bin ich auch heute nicht. Der einzige Wermutstropfen, den ich in mir trage, ist, dass ich dort überhaupt nicht hätte hingehen sollen. Aber gut, vergossene Milch.
Können Sie allen Leserinnen und Lesern in einem Satz erklären, was Politik ist?
Ein ehemaliger Papst meinte einmal: »Politik ist die höchste Form der Menschlichkeit.« Das ist sehr allgemein. Für mich war Politik immer eine Ebene des Dienens und des Wollens. Dienen gegenüber denjenigen, die einem das Vertrauen schenken. Wollen gegenüber der künftigen Entwicklung einer Region wie Niederösterreich. Ich bin glücklicherweise in einem historischen Zeitraum Landeshauptmann geworden. Durch den Fall des Eisernen Vorhangs hatte ich die Aufgabe, Niederösterreich in die Zukunft zu führen. Sie haben vorhin erwähnt, dass Niederösterreich das Selbstbewusstsein gestärkt wurde. Das habe ich auf unterschiedlichen Ebenen genutzt, was ich unter »dienen« und »wollen« verstehe. Es ging um den Stellenwert Niederösterreichs.
Und wie erklären Sie in einem Satz, wie Politik funktioniert?
Politik funktioniert nach einfachen, logischen Grundsätzen.
Die für die Gesamtbevölkerung oftmals aber nicht so wirklich durchschaubar sind.
Das ist dann das Problem der Politiker, wenn sie es nicht erklären können. Politik ist kein besonderes Zauberwerk. Ich bin relativ rasch auf Folgendes draufgekommen: Je einfacher man in der Politik denkt und je einfacher man relativ komplizierte Zusammenhänge des Staatsgefüges erklären kann, umso schneller verstehen die Menschen, für die man etwas verantwortet, warum etwas so geschieht, wie es geschieht.
»Politik ist kein besonderes Zauberwerk«
Vor Jahren soll Ihnen Jörg Haider einmal geraten haben, dass es ratsam sei, sich weniger Termine auszumachen, für diese allerdings mehr Zeit einzuplanen. Wenn Sie sich heutige Politiker anderer Couleurs ansehen, von wem könnten Sie sich etwas abschauen?
Da muss ich lange nachdenken. Ich habe den Eindruck von aktiven Politikern, dass der Wille und der Drang, sich lange und intensiv kommunikativ mit den Bürgern auszutauschen, nachgelassen hat. Das halte ich aus mehreren Gründen für bedenklich. Der Austausch eines Politikers mit den Bürgern gibt ihm erst das rechte Gefühl, wo es wirklich langgehen kann oder soll. Jemand, der das nicht als Korrektiv oder Leitmotiv in seiner politischen Arbeit sieht, der läuft Gefahr, abseits im Graben zu landen.
Wer hat das aktuell am besten drauf? Wer hat das gut in die heutige Zeit transferiert?
Spontan fällt mir niemand ein.
In der Vorbereitung für unser heutiges Gespräch habe ich mich an eine Situation aus meiner Kindheit zurückerinnert. Ich bin in Baden bei Wien zur Schule gegangen. Mein Großvater kannte Franz Olah, den ehemaligen SPÖ-Innenminister, Gewerkschaftsboss und KZ-Überlebenden. Als ich meine Geschichtsprofessorin gefragt habe, ob mein Großvater Olah fragen solle, ob er als Zeitzeuge in die Schule kommen würde, meinte diese: »Das bekomme ich bei der Direktion nicht durch. Die Stadt Baden ist schwarz. Das Land Niederösterreich ist schwarz. Olah gehört der falschen Partei an.« Ich habe das als Kind nicht verstanden. Können Sie es mir jetzt erklären?
Nein, das kann ich nicht erklären. Ich muss vorausschicken, dass ich die Ehre hatte, Franz Olah bei mir im Büro empfangen zu dürfen, etwa ein halbes Jahr bevor er verstorben ist. Ich kann es auch deswegen nicht erklären, weil die Politik in Wahrheit so nicht funktioniert. Wenn sie so funktionieren würde und man ginge nur mit ideologischen Scheuklappen durchs Leben, wäre die Aufbauarbeit in der Zweiten Republik niemals so möglich geworden, wie sie möglich war! Gerade Franz Olah war ein Exponent der Sozialpartnerschaft. Trotz seiner pointierten ideologischen Positionierung hat er gewusst und gespürt, wann es mehr als diese gab – nämlich dann, wenn es darum ging, das gemeinsame Ganze hochzuhalten! Wissen Sie, was das Schöne bei Franz Olah war? Er hatte das Verdienst, beim Kommunistenputsch im 50er Jahr eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Er mit seinen Arbeitern und Leopold Figl mit den niederösterreichischen Bauern. Beide waren ideologisch unglaublich weit auseinander. Als es aber darum ging, die Freiheit Österreichs zu retten, war die Ideologie zweitrangig. So funktioniert in Wahrheit die richtige Politik! Es geht darum, dass die Verantwortungsträger auch in spannungsgeladenen Zeiten wissen, über die eigene Ideologie hinauszugehen, weil es ein gemeinsames Ganzes gibt, dem man verpflichtet ist!
Wenn man sich die Kriegs- oder Nachkriegsgeneration ansieht, hat man das Gefühl, dass diese etwas verbunden hat. Nämlich die Erfahrung, dass man zwar unterschiedlichen Ideologien angehört hat, aber doch darin vereint war, nicht der Ideologie anzugehören, die Europa zerstört hat. Wenn man sich aktuelle Grabenkämpfe ansieht, ist das über die Generationen total verwässert worden. Mittlerweile sind es keine Ideologien mehr, sondern verwässerte Kommunikationsstrategien. Vereinfacht gesagt: Wer haut wem kommunikativ eine in die Goschn, um eine Woche lang stärker dazustehen. Wie soll sich das ändern, wenn es uns offenbar auch in einer Pandemie noch so gut geht, dass überhaupt keine Auseinandersetzung darüber stattfindet, wie man wirklich etwas voranbringt?
Wie alles im Leben lässt sich auch das Zusammenleben in der Politik auf einen relativ einfachen Nenner bringen. Dort, wo sich Menschen mögen, finden sie sich auch über Ideologien und noch so tiefe Gräben zusammen. Solche Menschen brauchen wir in der Politik. Jemand, der Menschen nicht mag, soll nicht in die Politik gehen. Der ist nicht in der Lage, ideologieübergreifend zu denken und zu handeln. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Bürgermeister Häupl und ich Freunde sind. Wir sind das aber nicht geworden unter dem Damoklesschwert eines Freiheitsverlusts. Wir sind in einem konstruktiven Miteinander Freunde geworden, nämlich im Wollen, Positives für beide Bundesländer zu gestalten.
Wann ist diese Freundschaft in der Amtszeit von Ihnen beiden entstanden?
Das kann ich Ihnen genau sagen. Wenn Sie sich umdrehen, sehen Sie durchs Fenster die Häuser 9, 11 und 13 in der Herrengasse. Dort wurde die Freundschaft von Michael Häupl und mir grundgelegt. Der Hintergrund war folgender: Wien und Niederösterreich sind seit 100 Jahren getrennt, also eigene Bundesländer. Im Jahr 1920 wurde im Trennungsvertrag festgeschrieben, dass die Häuser 9, 11 und 13 im Hälfteeigentum Niederösterreichs und im Hälfteeigentum Wiens bestehen. Wien konnte allerdings die Kaufoption ziehen, wenn die niederösterreichische Landesregierung irgendwann ausziehen würde. Im Jahr 1920 hat niemand daran gedacht, dass es einmal so weit kommen wird. In den 80ern ist es dann aber doch geschehen, dass wir eine eigene Landeshauptstadt gegründet haben. Daher wäre dieses Vorkaufsrecht für den zweiten Teil der Häuser schlagend geworden. Ich war damals bereits in der Landesregierung und wurde dann Landeshauptmann. Ich dachte, dass wir diese historischen Häuser nicht verlieren sollten. Sie sind ein ideales Fenster an der besten Adresse von Wien!
Wir mussten also einen Weg finden, der Niederösterreich das Gesamteigentum möglich machte. Kurz darauf wurde Häupl Bürgermeister von Wien. Ich habe ihn gefragt und gebeten, ob wir uns nicht zusammensetzen könnten, um nach einer Möglichkeit zu suchen, damit wir als Niederösterreich die Häuser behalten können. Ich bin dann zu ihm ins Rathaus und habe ihm ein Gegenangebot gemacht. Als Bundesland Niederösterreich hatten wir eine Reihe von Immobilien, die für Wien wertvoller waren, unter anderem auf der Donauinsel. Wir haben also die Häuser in der Herrengasse und die anderen Immobilien schätzen lassen. Mein Vorschlag war, dass Wien sämtliche Immobilien Niederösterreichs in Wien erhält, wenn die Stadt auf das Eigentum in der Herrengasse verzichtet. Das Schätzgutachten hat gezeigt, dass sich der Wert ungefähr die Waage hielt, woraufhin wir die Abmachung mit Handschlag besiegelt haben! Mit diesem Handschlag sind wir in unsere Gremien gegangen, also Landtag und Landesregierung, die das dann abgesegnet haben.
Wenn ein Handschlag hält, ist er eine gute Grundlage für Vertrauen. Aus diesem Vertrauen ist dann eine persönliche Freundschaft über Landesgrenzen und ideologische Grenzen hinweg entstanden. Das war letztendlich auch im Sinne beider Bundesländer. Wir wussten, dass es für beide viel gescheiter ist, nicht Krieg zu führen, sondern als gute Nachbarn an einer gemeinsamen Zukunft zu bauen. Sowas vermisse ich heute!
Wir mussten also einen Weg finden, der Niederösterreich das Gesamteigentum möglich machte. Kurz darauf wurde Häupl Bürgermeister von Wien. Ich habe ihn gefragt und gebeten, ob wir uns nicht zusammensetzen könnten, um nach einer Möglichkeit zu suchen, damit wir als Niederösterreich die Häuser behalten können. Ich bin dann zu ihm ins Rathaus und habe ihm ein Gegenangebot gemacht. Als Bundesland Niederösterreich hatten wir eine Reihe von Immobilien, die für Wien wertvoller waren, unter anderem auf der Donauinsel. Wir haben also die Häuser in der Herrengasse und die anderen Immobilien schätzen lassen. Mein Vorschlag war, dass Wien sämtliche Immobilien Niederösterreichs in Wien erhält, wenn die Stadt auf das Eigentum in der Herrengasse verzichtet. Das Schätzgutachten hat gezeigt, dass sich der Wert ungefähr die Waage hielt, woraufhin wir die Abmachung mit Handschlag besiegelt haben! Mit diesem Handschlag sind wir in unsere Gremien gegangen, also Landtag und Landesregierung, die das dann abgesegnet haben.
Wenn ein Handschlag hält, ist er eine gute Grundlage für Vertrauen. Aus diesem Vertrauen ist dann eine persönliche Freundschaft über Landesgrenzen und ideologische Grenzen hinweg entstanden. Das war letztendlich auch im Sinne beider Bundesländer. Wir wussten, dass es für beide viel gescheiter ist, nicht Krieg zu führen, sondern als gute Nachbarn an einer gemeinsamen Zukunft zu bauen. Sowas vermisse ich heute!
Sie meinten vorhin, Ihnen fällt kein aktueller Politiker ein, von dem Sie sich etwas abschauen könnten. Fällt Ihnen ein heutiger Politiker ein, der solch eine Handschlagqualität hat, wie Sie sie gerade beschrieben haben?
Da tu ich mir schwer. Solch eine Handschlagqualität muss ich erproben können. Nachdem ich nicht mehr aktiv bin, habe ich weder die Chance noch die Möglichkeit, das zu erproben. Handschlagqualität zu beteuern ist das eine, sie auch zu praktizieren ist das Zweite. Beteuern und Praktizieren ergibt ein gemeinsames Ganzes.
»Der Fortschritt der Gesellschaft passiert durch die Kreativität im Kopf eines Menschen«
Sie waren als Landeshauptmann bekannt dafür, die Kultur zu fördern, was sich auch immer wieder im Wohlwollen diverser Künstler gezeigt hat, obwohl die Kunst- und Kulturszene als eher politkritisch gilt. Nun sind Sie ehrenamtlicher Aufsichtsratsvorsitzender der »Kultur.Region.Niederösterreich«. Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag in dieser Funktion?
Mir geht es in erster Linie darum, nicht müde zu werden, Kultur in den einzelnen Regionen zu etablieren und die Kultur an die Menschen heranzubringen. Das Überziel ist es, die Zutrittsschwelle zu Kulturveranstaltungen möglichst weit herabzusenken. Es muss den Menschen Freude machen, zu Kulturveranstaltungen zu gehen – egal welcher Art! Es muss ihnen eine Freude machen, selbst kulturell aktiv zu sein. Egal, ob in einer Musikschule, ob beim Tanz, ob im Bildnerischen ... wo auch immer!
Albert Einstein hat einen Satz geprägt, der mich unglaublich beschäftigt hat. Er sagte: »Kreativität ist wichtiger als Wissen.« Lange Zeit dachte ich mir: »Einstein ist so ein kluger Mann, aber das stimmt doch so nicht!« In der Schule habe ich als Kind immer gesagt bekommen, dass Wissen Macht ist. Wenn man viel weiß, bringt man viel weiter. Je länger ich aber über den Satz von Einstein nachgedacht habe, desto deutlicher bin ich draufgekommen, dass er recht hatte. Wissen kannst du heute auf Knopfdruck vom Handy abrufen. Kreativität aber nicht. Da können Sie stundenlang herumdrücken und Sie werden keine Kreativität erfahren. Der Fortschritt der Gesellschaft passiert durch die Kreativität im Kopf eines Menschen! Das war in Wahrheit mein Background, warum ich immer großen Wert auf einen kulturellen Abwechslungsreichtum gelegt habe. Daher habe ich auch politisch sehr viel auf mich genommen, denn Kulturpolitik in Niederösterreich zu machen, war nicht immer einfach. Alleine wenn man daran denkt, die Infrastruktur zu schaffen, die Niederösterreich auf Augenhöhe mit der Bundeshauptstadt Wien gehoben hat – oder auch im internationalen Vergleich standhält. Dadurch wurde auch das Selbstbewusstsein im Land gestärkt. Ich wollte möglichst vielen Leuten die Möglichkeit bieten, sich mit kreativem Schaffen – auf welcher Ebene auch immer – auseinanderzusetzen.
Wenn wir zwei uns ein Gemälde ansehen, werden Sie etwas spüren und denken und ich auch. Das wird nicht deckungsgleich sein. Jeder von uns wird etwas anderes empfinden und sich etwas anderes denken. Aber: Was uns beide verbindet, ist die Anregung, kreativ über etwas nachzudenken. Nämlich: Was steckt tiefer hinter diesem Bild? Je breiter es gelingt – sei es über aktive Kulturarbeit oder passiven Kulturkonsum –, diese Kreativität zu schöpfen, desto besser wird es uns gelingen, im Wettbewerb die Nase vorne zu haben.
Albert Einstein hat einen Satz geprägt, der mich unglaublich beschäftigt hat. Er sagte: »Kreativität ist wichtiger als Wissen.« Lange Zeit dachte ich mir: »Einstein ist so ein kluger Mann, aber das stimmt doch so nicht!« In der Schule habe ich als Kind immer gesagt bekommen, dass Wissen Macht ist. Wenn man viel weiß, bringt man viel weiter. Je länger ich aber über den Satz von Einstein nachgedacht habe, desto deutlicher bin ich draufgekommen, dass er recht hatte. Wissen kannst du heute auf Knopfdruck vom Handy abrufen. Kreativität aber nicht. Da können Sie stundenlang herumdrücken und Sie werden keine Kreativität erfahren. Der Fortschritt der Gesellschaft passiert durch die Kreativität im Kopf eines Menschen! Das war in Wahrheit mein Background, warum ich immer großen Wert auf einen kulturellen Abwechslungsreichtum gelegt habe. Daher habe ich auch politisch sehr viel auf mich genommen, denn Kulturpolitik in Niederösterreich zu machen, war nicht immer einfach. Alleine wenn man daran denkt, die Infrastruktur zu schaffen, die Niederösterreich auf Augenhöhe mit der Bundeshauptstadt Wien gehoben hat – oder auch im internationalen Vergleich standhält. Dadurch wurde auch das Selbstbewusstsein im Land gestärkt. Ich wollte möglichst vielen Leuten die Möglichkeit bieten, sich mit kreativem Schaffen – auf welcher Ebene auch immer – auseinanderzusetzen.
Wenn wir zwei uns ein Gemälde ansehen, werden Sie etwas spüren und denken und ich auch. Das wird nicht deckungsgleich sein. Jeder von uns wird etwas anderes empfinden und sich etwas anderes denken. Aber: Was uns beide verbindet, ist die Anregung, kreativ über etwas nachzudenken. Nämlich: Was steckt tiefer hinter diesem Bild? Je breiter es gelingt – sei es über aktive Kulturarbeit oder passiven Kulturkonsum –, diese Kreativität zu schöpfen, desto besser wird es uns gelingen, im Wettbewerb die Nase vorne zu haben.
Lieblings-
Buch: Joseph Fouché (Stefan Zweig)
Film: Doktor Schiwago
Song: Herzilein (Wildecker Herzbuben)
Schauspieler/in: Andrea Eckert
Motto: Leben und leben lassen!
Autor/in: Stefan Zweig
Serie: Julia – eine ungewöhnliche Frau
Stadt: Wien
Land: Niederösterreich
Gericht: Schmorbraten
Getränk: Grüner Veltliner
Film: Doktor Schiwago
Song: Herzilein (Wildecker Herzbuben)
Schauspieler/in: Andrea Eckert
Motto: Leben und leben lassen!
Autor/in: Stefan Zweig
Serie: Julia – eine ungewöhnliche Frau
Stadt: Wien
Land: Niederösterreich
Gericht: Schmorbraten
Getränk: Grüner Veltliner
Persönliches Mitbringsel
Ich habe den Wiener Rathausmann mitgenommen. Er ist im Zusammenhang mit der Begründung der Freundschaft zwischen Häupl und mir zu sehen. Nach der Umsetzung der Vereinbarung auf Grundlage des Handschlags, von dem ich vorher erzählt habe, hat Häupl mir den Goldenen Rathausmann verliehen. Er hat mich während meiner gesamten Regierungszeit am Schreibtisch begleitet. Und auch jetzt im Büro der »Kultur.Region.Niederösterreich« begleitet er mich weiterhin.
Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche
Schönstes: Ich wurde von einer Covid-Erkrankung freigetestet.
Negativstes: Meine Frau wurde nicht gleichzeitig mit mir freigetestet, sondern erst fünf Tage später.
Negativstes: Meine Frau wurde nicht gleichzeitig mit mir freigetestet, sondern erst fünf Tage später.
Berufswunsch als Kind
Bahnhofsvorstand
Wen wollten Sie immer schon einmal treffen?
Es sind zwei Persönlichkeiten, die ich auch beide getroffen habe. Die eine war Bundeskanzler Helmut Kohl. Die zweite war Jean-Claude Juncker. Mit ihm verbindet mich mittlerweile auch eine persönliche Freundschaft. Das letzte Mal haben wir uns vor vier Wochen getroffen, als er in Wien war. Zu unserer aktiven Zeit haben wir uns öfters getroffen. Es gibt von der Zeit sogar ein Foto, als er mich auf meine Glatze geküsst hat. (lacht)
Teenie-Schwarm
Karin in der Mittelschule. Sie ist leider frühzeitig bei einem Verkehrsunfall gestorben.
Café-Bestellung
Soda-Zitrone
Ort des Interviews
Café Central
Die prunkvollen Hallen erinnern an vergangene Zeiten der Monarchie, so war im Gebäude des Café Central ursprünglich die Österreichisch-ungarische Bank beheimatet. 1876 wurde es dann zum gemütlichen Kaffeetreff umfunktioniert. Zu den Gästen gehörten Persönlichkeiten wie Schriftsteller Stefan Zweig, Psychoanalytiker Sigmund Freud und Architekt Adolf Loos. Aber auch Diktator Adolf Hitler oder russische Politiker wie Josef Stalin oder Wladimir Iljitsch Lenin zählten zu den berühmten Besuchern des Cafés. Mittlerweile ist das Central vor allem ein Hot-Spot für Touristen geworden, wenngleich nach wie vor prägende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Gäste sind. So hatte Erwin Pröll nur wenige Meter von seinem Büro im Palais Niederösterreich in der Herrengasse zu gehen, um für das Interview Platz zu nehmen.
Die prunkvollen Hallen erinnern an vergangene Zeiten der Monarchie, so war im Gebäude des Café Central ursprünglich die Österreichisch-ungarische Bank beheimatet. 1876 wurde es dann zum gemütlichen Kaffeetreff umfunktioniert. Zu den Gästen gehörten Persönlichkeiten wie Schriftsteller Stefan Zweig, Psychoanalytiker Sigmund Freud und Architekt Adolf Loos. Aber auch Diktator Adolf Hitler oder russische Politiker wie Josef Stalin oder Wladimir Iljitsch Lenin zählten zu den berühmten Besuchern des Cafés. Mittlerweile ist das Central vor allem ein Hot-Spot für Touristen geworden, wenngleich nach wie vor prägende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Gäste sind. So hatte Erwin Pröll nur wenige Meter von seinem Büro im Palais Niederösterreich in der Herrengasse zu gehen, um für das Interview Platz zu nehmen.
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