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Eisverkäufer Gelato Carlo im Interview
 
       
       
Gelato Carlo

Eisverkäufer

Gesellschaft
19.10.2022
Gelato Carlo heißt eigentlich Carlo Maghakian und betreibt den gleichnamigen Eissalon in Wien-Josefstadt. Wer nun an klassische Eissorten denkt, der irrt. Carlo hat eine experimentierfreudige Leidenschaft für internationales Gelato entwickelt. So kombiniert er brasilianische Limetten mit philippinischen Kokosnüssen, oder eine indische Mango mit einer mexikanischen Maracuja. Das Ergebnis bezeichnet er schlichtweg als Glück. Und worum geht es ihm dabei? Er möchte Neukreationen durch träumerische Fusionen erschaffen. Laut eigenen Angaben liegt der Ursprung dieses Antriebs in seinen Wurzeln – als Kind einer österreichischen Mutter und eines armenischen Vaters.

Ich werde im Gespräch immer wieder spontan klassische Eissorten nennen und bitte um eine kurze Antwort mit der ersten Assoziation, die dir dazu einfällt, in Ordnung?

Ja, in Ordnung.

Machen wir gleich einen Test: Erdbeere.

Erdbeere ist eine klassische Sorte, die jedes Kind einmal probiert. Das erste Eis, das Kinder verlangen, ist entweder Erdbeere oder Zitrone. Ich persönlich mag keine Erdbeere.

Du hast einmal gesagt, dass du kein Eis produzierst, sondern italienisches Gelato. Worin liegt der Unterschied?

Für Gelato benötigt man Milch, wenig Eigelb, wenig Zucker und wenig Luft. Dann bekommt man eine Creme – das ist Gelato! Damit kann ich mich dann spielen. Eiscreme dagegen ist viel Sahne, viel Luft und viel Zucker – 90 Prozent fertige Zutaten! In Venedig oder Florenz benötigst du Eiscreme wegen des Massentourismus. Es geht darum, schnell Eis zu produzieren. Innerhalb von 9 Minuten hast du 20 Kilogramm Eis hergestellt. Für Gelato brauchst du Zeit. Das ist der Unterschied.

Zitrone.

Wir importieren Zitronen von Sizilien. Es handelt sich um eine neutrale Frucht, die in fast jeden Mund passt. Das lernt man bereits im Kindergarten. Kinder essen gerne Zitrone mit Schokolade – passt überhaupt nicht zusammen.

Isst du privat eigentlich noch Eis im Sommer? Wenn man beruflich andauernd damit zu tun hat, verliert man doch irgendwann die Lust und den Appetit auf die süße Creme.

Hier bei mir, meinst du?

Hier oder generell.

Ja, klar. Während der Produktion probiere ich jedes Mal, ob alles in Ordnung ist. Ich esse sehr gerne Eis.

Und woanders?

Nein. Außer in Bologna, wo ich gelernt habe, Gelato zu produzieren.

Vanille.

Vanille ist ein Problem. Jeder kennt Vanillepudding von Dr. Oetker und glaubt daher, dass Vanille gelb ist. Auch das lernt man bereits als Kind so. Als wir das erste Mal Vanille angeboten haben, hat uns niemand geglaubt, dass es sich um Vanille handelt. Die Leute haben an Kaffee, Mohn oder Tabak gedacht. Dabei hatten wir echte Vanille! Niemand hat sich am Anfang getraut, bei uns Vanilleeis zu kaufen, weil es nicht gelb war und alle meinten, dass es gelb sein muss. Mittlerweile ist Vanille eine der besten Sorten, die wir verkaufen – gleich nach Zitrone! (lacht)
Interview mit Eisverkäufer Gelato Carlo

Du warst ursprünglich in einem komplett anderen Beruf tätig, nämlich als Designer in der Werbemittelproduktion.

Eigentlich bin ich gelernter Optiker. Auch mein Vater war Optiker.

Wie ist es dazu gekommen, dass du zum Eisproduzenten wurdest?

Eis? Du meinst Gelato!

Gelato, ja.

Es ist eine lange Geschichte. Ich probiere, sie kurz zu halten. Nach meiner Matura war ich in Wien in der Optikerberufsschule und habe diesen Beruf nach der Lehre für ein paar Jahre ausgeübt. Ich habe mich allerdings nicht getraut, ein eigenes Geschäft in Wien aufzumachen. Ich bin dann nach Russland gegangen und habe dort mehrere Optikgeschäfte eröffnet, und zwar in Moskau und St. Petersburg. Das war von 1993 bis 1996. Danach bin ich wieder zurück nach Wien, wollte aber nicht mehr als Optiker tätig sein. Mein Vater hatte eine Fabrik für Gummibänder im Libanon für die Textilproduktion. Das hat mich allerdings nicht interessiert. Ich bin nach Madrid gezogen und habe dort ganz andere Sachen gearbeitet. Was ich aber immer gerne gemacht habe: kochen und backen. Und Eis hat mich auch immer schon interessiert. 1997 habe ich geheiratet, und 1999 bin ich wieder zurück nach Wien, um Anfang der 2000er mit dem Werbemittelgeschäft anzufangen. Daneben habe ich mich mit meinem Hobby beschäftigt – kochen, kochen, kochen! Da ich immer gerne Eis gegessen habe, habe ich mich irgendwann gefragt, warum es keine guten italienischen Produkte in Wien gibt, obwohl Italien und Österreich Nachbarn sind. 2014 habe ich mich dazu entschieden, ein Eisgeschäft aufzumachen. Alle haben mich gefragt, ob ich deppat bin ... eine Gelateria in Wien! Ich habe mich dann dazu entschieden, mir die Web-URL »gelatocarlo.com« zu sichern, und habe mir gedacht: Irgendwann einmal mache ich das! Durch die Pandemie war es dann so weit, da alle meine Aufträge weg waren.

Was genau hast du gemacht?

Wir haben unterschiedliche Werbemittel für die Getränkeindustrie und deren Auftritt in der Gastronomie und Hotellerie entwickelt. Dazu gehörten beispielsweise Schirme, Menühalter oder Getränkekühler für Kunden wie Coca-Cola, Rauch, Red Bull, Schweppes, Meinl und so weiter. Durch die Lockdowns hatten in der Gastronomie und Hotellerie aber alle zu, womit das nicht mehr benötigt wurde. Es war die richtige Zeit, mein eigenes Geschäft zu eröffnen.

Wann genau hast du eröffnet?

Drei Wochen nach dem ersten Lockdown im März 2020 habe ich angefangen, alles rund um Gelato zu lernen und mir alle notwendigen Informationen online zu holen. Was mir klar war: Ich möchte mit keinem der großen Konzerne zusammenarbeiten! Ich habe mich also erkundigt – unter anderem bei Boutique-Hotels –, wo man feine Ware für Gelato kaufen kann. Woher kommt die beste Schokolade? Woher die beste Mango? Was sind die besten Maschinen? Ich habe mich immer weiter damit beschäftigt. Mitte Juli hat mich ein Freund aus Milano angerufen, der in ganz Italien für Autogrill – eine Firma, vergleichbar mit Rosenberger in Österreich – tätig ist. Ich hatte ihn um Hilfe gebeten, da er gute Connections in der ganzen Branche hat, und so hat er mich zur Firma Cattabriga gebracht. Das ist der Bentley unter den Eismaschinen – sehr teuer, aber mit ordentlichen Ergebnissen! Und dann habe ich gelesen, wer weltweit ein Gelato-Meister ist. Mit Giacomo Schiavon habe ich ihn in Bologna gefunden und zufällig arbeitet er mit derselben Maschine! Ich habe ihn darum gebeten, dass ich bei ihm und seiner Gelateria »La Sorbetteria Castiglione« lernen kann. Er meinte, dass er mir in drei Tagen alles zeigt. Ich meinte nur: »Nein, nein, nein, ich möchte alles von A bis Z lernen!« Anfänglich hatte er keine Zeit, da er mit einem bekannten Koch an neuen Rezepten gearbeitet hat. Ich habe ihn dann mehrfach um seine Hilfe gebeten und im Dezember haben wir schließlich begonnen. Im Juni 2021 habe ich dann mein eigenes Geschäft eröffnet. Anfänglich habe ich von allen Seiten gesagt bekommen, dass das nie funktionieren wird. Ich meinte nur, dass die Leute irgendwann Schlange stehen werden. Mein Bruder sagte darauf, dass ich am Boden bleiben soll. Nach einem Bericht von Severin Corti im »RONDO« hat sich bereits im September 2021 die erste Schlange gebildet.
Gelato Carlo im Gespräch

Schokolade.

Ein sehr heikles und kompliziertes Produkt. Ich arbeite nur mit Valrhona-Schokolade, das ist die beste der Welt, mit über 100-jähriger Tradition! Teuer, aber Topschokolade. Es gibt weltweit so viele Sorten von Schokolade und jede hat ihre eigene Rezeptur. Es verhält sich ein bisschen wie bei Pizzateig. Wenn wir mit Schokolade arbeiten, überlegen wir uns immer, was genau wir machen wollen. Wollen wir fruchtig, bitter oder würzig sein? Soll es Vollmilchschokolade sein oder doch dunkle? Manche vollmundigen Schokoladesorten bieten sich rein für ein Sorbet an, da man sie mit nichts mischen sollte.

Was macht das perfekte Eis aus?

Geduld. Und Liebe zum Produkt.

Stracciatella.

Langweilig! Mit italienischem Obers funktioniert Stracciatella, mit österreichischem Obers wird es einfach nichts. Wir haben es immer wieder probiert, aber es klappt nicht. Italienisches Obers zu importieren ist unbezahlbar. Ich habe zwar die Möglichkeit dazu, aber das damit produzierte Gelato können sich die Leute nicht leisten.
»Haselnuss-Gelato ist eine Diva«

Wie viel haben die folgenden Begrifflichkeiten mit der Produktion von Eis zu tun? Leidenschaft, Gastronomie, Wissenschaft.

Wissenschaft ist sehr wichtig! Gutes Gelato zu machen ist pure Chemie und Physik. Man muss die Zutaten richtig mischen. Haselnuss-Gelato ist eine Diva. Haselnüsse beinhalten Fett und Fasern. Dadurch wird manchmal die Produktion blockiert. Wir müssen die Haselnüsse mit Milch, Zucker und Milchbase mischen. Das muss dann bei mittlerer Geschwindigkeit durchmischt werden. Bei zu hoher Geschwindigkeit wird das Gelato steinhart, bei langsamerer Geschwindigkeit wird es zu Pudding. Neben der Chemie ist auch die Physik wichtig: Haselnüsse müssen zwischen minus 11,5 Grad Celsius und minus 12 Grad Celsius gelagert werden. Das ist pure Wissenschaft.

Zur Leidenschaft: Man muss alles mit Leidenschaft, Liebe und Geduld machen. Und die Gastronomie, die besteht aus Verkauf und Marketing. 

Pistazie.

Mafia!

Mafia?

Du kannst die ursprüngliche Quelle von Pistazie nicht wirklich kontrollieren. Nicht mal Experten wissen, ob es eine aus der Türkei oder aus Griechenland ist. Pistazien aus Persien schmecken anders und sind größer. Aber mediterrane sind alle gleich. Ich war einmal in Bronte, einer sizilianischen Stadt. Es handelt sich um die Hauptstadt der Pistazie! Von dort kommen die besten Pistazien. Bronte ist eine kleine Stadt, ungefähr mit Baden bei Wien vergleichbar. Man glaubt nicht, dass diese kleine Stadt die ganze Welt beliefert! Viele Produzenten tun nur so, als ob sie Pistazien aus Bronte anbieten, dabei importieren sie aus der Türkei oder von sonst wo. Es ist kompliziert, einen Händler zu finden, der originale Pistazien aus Bronte anbietet. Ich habe einen gefunden.

Deswegen »Mafia«, weil kompliziert und schwer zu durchschauen.

(grinst)
»Wenn es regnet, ist es eine gute Zeit, Experimente mit Gelato zu machen«

Was war bisher die unkonventionellste Eissorte, die du kreiert hast?

Ich probiere viel herum. Wenn es regnet, ist es eine gute Zeit, Experimente mit Gelato zu machen. Das größte Wunder war bisher »Jerusalem«.

Was für ein Eis ist das?

Pistazie mit Mandel und Orangenblütendestillat. Fantastisch!

Eine deiner Eissorten heißt Gran Torino. Wie der Film mit Clint Eastwood.

Das ist Haselnuss. Alle meine Eissorten haben Namen. Es sind Marken.

Amarena.

Habe ich nicht.

Wie denkst du bei Eissorten-Vorschlägen wie beispielsweise Bier-Gelato, Wein-Gelato, Gummibärchen-Gelato oder Döner-Gelato?

Na ... da bin ich der Falsche dafür. Tomaten-Gelato ... Gurken-Gelato ... nein. Das funktioniert nicht. Ich bin einmal gefragt worden, ob ich ein Karamell-Gelato mit Brösel machen kann. Okay, beides ist salzig, aber das geht einfach nicht. In München hat mal einer Schweinsbraten-Gelato gemacht. Geh bitte!

Haselnuss.

Klassisch und aromatisch. Pistazie ist aktuell sehr modern. Davor war es Haselnuss, das die Welt erobert hat. Viele Kunden, die in den 50ern und 60ern geboren wurden, bestellen gerne Haselnuss. Die jüngeren essen lieber Pistazie.

Die meisten Eissalons schließen im Winter. Du hast offen. Was machen die anderen im Winter und warum hast du geöffnet?

Sehr schöne Frage. Ich betrachte Gelato als Dessert. Es sollte nicht wetterabhängig sein. Eis hat einen billigen Ruf in der Gastronomie. Man isst Eis, wenn das Wetter warm ist. Wenn es kalt ist, essen wir kein Eis. Davon versuche ich wegzugehen.

Du siehst Gelato nicht als schnelle Abkühlung im Sommer, sondern als Genuss.

Exactly! Genau das ist es. Wenn du Schokoladeneis isst, ist es anfänglich kalt. Aber nach ein paar Sekunden im Mund wird es warm und fühlt sich gemütlich an. Jetzt, im Winter, produziere ich warmes Eis – Maroni, Schokolade mit Rum oder Lebkuchen. Da ist es doch egal, ob es minus oder plus 20 Grad hat.

Du variierst also die Sorten nach Jahreszeiten.

Genau, im Winter haben wir kein Bonbon und keine Kokosnuss. Dafür haben wir Blutorange oder Mandarinen.

Joghurt.

Neutral. Passt für jede Generation. Joghurt alleine mag ich persönlich nicht. Aber in Kombination mit grüner Limette ist es einfach nur wow.

Zum Abschluss eine vielleicht etwas gemeine Frage: Wenn du in einem anderen Bezirk unterwegs bist und du Heißhunger auf Eis bekommst, welcher Eissalon darf deinen Gaumen verwöhnen?

Schade um die Kalorien.

Und dein Lieblingseis?

Ich mache und mag so viele Fusionen. Eine bestimmte Sorte kann ich nicht nennen.

Lieblings-

Buch: »Tim und Struppi«-Comics, Die vierzig Tage des Musa Dagh (Franz Werfel)
Film: Der Pate
Song: Techno. Ich bin schwerhörig. Techno ist neutral. Alles andere hört sich für mich gleich an – egal ob Deutsch, Arabisch, Englisch, Chinesisch.
Schauspieler/in: Al Pacino, Robert De Niro, Meryl Streep
Motto: Wenn Plan A nicht funktioniert, gibt es noch 25 weitere Buchstaben. (lacht) Irgendwann einmal wird es funktionieren, wenn man wirklich will.
Autor/in: Dan Brown
Serie: Breaking Bad, Game of Thrones
Stadt: Hongkong ... wegen der Mystik zwischen Ost und West.
Land: Sizilien ... nicht Italien, Sizilien!
Gericht: Meeresfrüchte und Pasta
Getränk: Negroni

Persönliches Mitbringsel

Ein Thermometer für das Gelato. Es geht immer darum, die richtige Temperatur je nach Sorte zu kontrollieren.
Thermometer von Gelato Carlo

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Schönstes: Letzte Woche waren viele Kinder hier. Ich bin schwerhörig und höre daher wirklich nicht gut. Einer meiner Mitarbeiter meinte, dass man nur „Mhhhh! Mhhh! Mhhh!“ gehört hat. Das war wirklich ein interessanter Moment für mich.
Negativstes: Es ärgert mich, wenn ich schlafe und jemand dreht das Licht auf.

Berufswunsch als Kind

Astronaut. Das geht nur nicht, wenn man nichts hört. Ich höre nur acht Prozent, seit ich ein Kind bin.

Wen wolltest du immer schon einmal treffen?

Wen ich persönlich immer treffen möchte, sind meine Frau und mein Bruder. Meine Frau gibt mir Kraft, und mein Bruder achtet darauf, dass ich unter Kontrolle bleibe.

Teenie-Schwarm

Die Musikgruppen Spandau Ballet und Duran Duran hatte ich als Idole.

Getränk während des Interviews

Mineralwasser

Ort des Interviews

Eissalon Gelato Carlo
Es ist das erste Mal, dass Talkaccino zum zweiten Mal am selben Ort zugegen war, um ein Interview zu führen. Bei Gelato Carlo hat es sich einfach angeboten, im eigenen Lokal das Interview zu führen – und in keinem anderen Café. Erstmals war Talkaccino im Dezember 2021 zu Gast bei Gelato Carlo. Damals wurde Schriftstellerin und Kolumnistin Ela Angerer interviewt.