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Journalistin Anneliese Rohrer im Gespräch
 
       
       
Anneliese Rohrer

Journalistin

Gesellschaft
22.06.2022
Anneliese Rohrer arbeitete von Mitte der 70er bis Anfang der 0er Jahre durchgehend für die österreichische Tageszeitung »Die Presse«, unter anderem als Leiterin des Innenpolitik-Ressorts, bis sie 2004 unfreiwillig in Pension geschickt wurde. Als Vollblutjournalistin wurde sie jedoch nicht altersmüde, sondern veröffentlichte das Buch »Charakterfehler: Die Österreicher & ihre Politiker« und reiste mit ihrer Tochter, Filmregisseurin Katharina Rohrer, nach New York, um einen Film über Menschenhandel zu drehen. Danach heuerte sie einige Jahre bei der Tageszeitung »Kurier« an, um seit 2010 doch wieder für »Die Presse« zu arbeiten. Über die Jahre hat sie mehrere Preise erhalten – u. a. als Journalistin des Jahres und für ihr Lebenswerk. Von Branchenkollegen wird die mittlerweile bald 78-Jährige – zu ihrem Widerwillen – oftmals als »Doyenne« oder auch »Grande Dame« der politischen Berichterstattung bezeichnet

In einem Artikel für die Fachzeitschrift »Österreichs Journalist:in« schreiben Sie, dass es für Sie das Beste sei, wenn Politiker unerwartet zurücktreten, weil Sie dann einen starken Adrenalin-Kick verspüren. Die letzten Jahre müssen sehr erfüllend für Sie gewesen sein.

So war es, die letzten Jahre waren richtig spannend! Aber wissen Sie, warum es mir am liebsten ist, wenn Politiker unerwartet zurücktreten? Adrenalin wird freigesetzt und niemand kommt zu Schaden. Niemand wird verletzt, niemand stirbt, und es handelt sich um keine überraschenden Ereignisse wie bei 9/11. Bei Unfällen oder Terroranschlägen wird auch Adrenalin freigesetzt, vor allem wenn du dich während 9/11 gerade in New York aufhältst. All das ist tragisch und bedeutet großes Unglück. Ein Landeshauptmann, der wegen Herzflimmern zurücktritt, ist zwar an diesem Tag eine aufregende Sache, zu Schaden kommt allerdings niemand. Weil: Das Herzflimmern war kein Herzflimmern, sondern eine Freundin.

Meinen Sie jemand Speziellen?

Ja, natürlich, Landeshauptmann Erwin Wenzl aus Oberösterreich. Aber es gibt ja auch andere Beispiele, bei denen niemand verletzt wurde. Wenn du um vier am Nachmittag die ganze Zeitung nochmals umschmeißen musst, weil irgendjemand zurückgetreten ist, finde ich das ganz toll.

Auch Ihre Kollegen aus der Produktion?

Die sind das gewohnt aufgrund von tragischeren Ereignissen. Es ist dann einfach hektisch, weil man alle zusammentrommeln muss.

Wenn man sich die letzten Jahre ansieht, kann man sagen, dass die Republik zu Schaden gekommen ist. Das Ansehen Österreichs ist zu Schaden gekommen.

Aber niemand hat geblutet.
Im Interview: Anneliese Rohrer

In einem Gespräch mit Alfred Dorfer haben Sie sehr überzeugt erläutert, dass eine finanzielle Absicherung keine Garantie für Zivilcourage sei, und haben als Beispiel ORF-Journalisten angeführt. An einer anderen Stelle des Gesprächs meinten Sie, dass die Verzagtheit der jungen Journalisten Sie hoffnungslos mache. Anhand dieser beiden Beispiele könnte man meinen, Sie hätten mit dem Journalismus abgeschlossen.

Nein, aber überhaupt nicht! Das wäre ja ein komplettes Missverständnis. Das totale Gegenteil ist der Fall! Ich bin jetzt viel mehr unterwegs und probiere, den Defätismus, der in der Branche eingezogen ist, aufzuhalten und meinen Kollegen Mut zu machen. Für viele ist alles schwieriger und schlechter, sie haben Schwierigkeiten mit den sozialen Medien und leiden unter den Sparmaßnahmen der Verleger. Ja, es ist richtig, dass gespart wird, aber irgendwann werden die Verleger draufkommen, dass sie ihre eigene Geschäftsgrundlage zerstören, weil vor lauter Sparen alle nur noch das Gleiche schreiben. Ich habe mit dem Journalismus also überhaupt nicht abgeschlossen. Vor allem den Jungen probiere ich nahezubringen, wie spannend das alles ist. Oftmals wandern sie in andere Bereiche wie die Public Relations ab, weil es dort mehr zu verdienen gibt.

Wenn die Jungen in die besser bezahlte PR abdriften, weil sie über die Zustände im Journalismus am Boden zerstört sind, könnte man meinen, dass es sich um opportune Suderanten handelt.

Das ist zu scharf und zu ungerecht. Ich bin 1974 nach vielen Jahren aus Neuseeland zurückgekommen und zum damaligen »Die Presse«-Chefredakteur Otto Schulmeister gegangen mit folgendem Satz: »Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber Sie könnten mich brauchen.« Der hat wahrscheinlich geglaubt, dass ich einen Klopfer habe. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt nicht mal eine einzige Zeile geschrieben. Ich hatte damals vier Wochen Probezeit und dann einen normalen Kollektivvertrag. Heute brauchst du ein abgeschlossenes Studium, weil du sonst nicht mal auf den Bewerbungsstapel kommst. Wenn du es dann schaffst, bekommst du die Chance auf eine prekäre Beschäftigung und schreibst auf Zeilen – und das jahrelang, obwohl du eine Fachhochschule absolviert hast. Wie soll das funktionieren, wenn du eine Familie gründen möchtest? Gut, dann geht man halt in die besser bezahlte Public Relations. Es ist zum Schaden der Medien und à la longue zum Schaden der Demokratie. Ich kann mich selbst schon nicht mehr reden hören, weil ich mir seit Jahren den Mund darüber fusselig rede. Wenn ich von früher rede, schwingt für viele mit: »Die Alte, jetzt redet sie schon wieder von früher.« Die Jungen würden ja gerne, wenn sie aber nur nach Zeilen bezahlt werden, nimmt man halt die APA her und schreibt die Texte von dort um. Was ist das Resultat? In allen österreichischen Zeitungen sind dieselben Zeilen zu finden. Und dann wundern sich die Verleger, warum die Leute ihre Produkte nicht mehr lesen und in die digitalen Medien abwandern.

Manche Medien, wie zum Beispiel der »Falter« oder die »Süddeutsche Zeitung«, versuchen gerade in den vergangenen Jahren, sich mit investigativen Geschichten zu profilieren.

Natürlich, auch »Die Zeit« ist das Gegenbeispiel dieser ewigen Jammerei. Andauernd wird überall behauptet, dass die Leute keine langen Texte mehr lesen wollen, nur damit man sich ja nicht bemühen muss. »Die Zeit« und die »Süddeutsche Zeitung« sind Gegenbeispiele dafür. Ebenso der »Falter«, wenn auch in einer anderen Liga. Als Medium muss man das Besondere bieten! Das kann das Investigative sein oder eine Reportage oder eine Analyse – etwas, das man sonst nirgendwo anders in dieser Form findet.
Journalistin Anneliese Rohrer im Gespräch

Also beispielsweise nicht über nur die Spielstände eines Sportereignisses berichten, sondern das »Warum« zum Sieg oder zur Niederlage liefern. Hintergründe abseits des eigentlichen Spiels.

Genau, die Spielstände erfährt man ohnehin sofort. Es muss also etwas anderes, etwas Besonderes geliefert werden. Die Verleger schauen nur darauf, dass möglichst schnell möglichst viel mit möglichst wenig Leuten produziert wird – sowohl online als auch direkt im Blatt. Ein Beispiel, ohne Namen zu nennen: Es gab einmal einen »Die Presse«-Geschäftsführer, der einen Termin mit dem Chefredakteur hatte. Als der Chefredakteur meinte, er müsse jetzt weiter, weil er noch einen Leitartikel zu schreiben habe, meinte der Geschäftsführer: »Den werden Sie ja wohl in 20 Minuten geschrieben haben.« Einen »Die Presse«-Leitartikel! Früher wurdest du für so etwas den ganzen Nachmittag freigestellt. Damals hatte das noch Gewicht und man konnte sich darüber profilieren – und Spaß gemacht hat es auch noch! Und heute ... natürlich kann jeder einen Leitartikel in 20 Minuten schreiben ... aber wozu?!

Wie sehen Sie die Glaubwürdigkeit der klassischen Medien in der heutigen Zeit?

Bedroht durch die Entwicklung des 08/15-Journalismus. Neben den bereits erwähnten Thematiken kommt in Österreich noch eine spezielle Situation dazu. Alle haben im Zeitungskopf »unabhängig« stehen. Doch nirgends erfährt der Leser: unabhängig von wem? Ist der »Kurier« unabhängig von der Raiffeisen Bank? Glaube ich nicht. Ist »Der Standard« unabhängig von den Banken? Glaube ich nicht. Ist »Die Presse« unabhängig vom Katholischen Verein und dem Styria Konzern? Glaube ich nicht. War die »Kronen Zeitung« unabhängig von der Gewerkschaft? Nein. Ich habe in den 90ern einmal gesagt bekommen: »Sie wissen eh, dass Bischof Weber nicht zu kritisieren ist?« Na eh klar, wobei es in dem Fall leicht war, weil es sich um einen honorigen Mann gehandelt hat. Als »Die Presse« noch dem Wirtschaftsbund gehört hat, wurde auch ein »Blablabla« von Rudolf Salinger – mächtiger Kammerpräsident und Wirtschaftsbundobmann – auf der ersten Seite veröffentlicht, wenn er meinte, »Blablabla« sagen zu müssen.
»Bei der Berichterstattung über Jörg Haider habe ich versagt«

In einer TV-Analyse haben Sie, am Beispiel der Berichterstattung über Jörg Haider, gemeint, dass Journalisten in den 90er den Fehler gemacht hätten, Richtig von Falsch nicht ausführlich genug zu unterscheiden. Journalisten stürzten sich auf seine Sager und dämonisierten ihn, ohne seine berechtigten Kritikpunkte hinreichend zu erläutern. Haben Journalisten seit den 90ern dazugelernt?

Ich war damals bei »Die Presse« verantwortlich für die Innenpolitik und somit auch für die Berichterstattung über Jörg Haider, der damals nur Halbwahrheiten von sich gegeben und in der Öffentlichkeit damit reüssiert hat. Es war mein Versagen und meine Schuld. Ich hätte damals unsere Journalisten in die Bezirke schicken müssen – nach Favoriten und Ottakring –, um nachzusehen, ob es sich dort wirklich um eine gespaltene Bevölkerung handelt. Raustreten hätte ich die müssen! Habe ich nicht gemacht, aber warum? Wir haben das Thema nicht angerührt, weil wir dachten, dass das Haider nur helfen werde.

Das war Ihre Angst?

Das war unsere gemeinsame Angst.

Wenn es so gewesen wäre, wie Haider behauptet hatte, wäre es demokratiepolitisch richtig gewesen, es auch so zu zeigen.

Natürlich, ja, das hätten wir so machen müssen, und es war ein Fehler. Und dieser Fehler hat sich fortgesetzt. Ich habe damals, wenn Sie sich erinnern, irrsinnige Streitgespräche mit dem aufkommenden »News« und auch dem »profil« gehabt. Die haben, zugespitzt gesagt, in jeder zweiten Ausgabe den Haider gebracht, weil das für Auflage gesorgt hat. Als ich die gefragt habe, ob sie wahnsinnig seien, meinten die: »Im Innenteil kritisieren wir ihn eh.« Nach den Ausländern kamen die Bonzen. Wir haben zwar wieder darüber berichtet, aber nicht genau hingesehen. Haiders Stärke war es, mit Halbwahrheiten zu spielen.

Die im Moment eines Interviews nicht überprüfbar waren.

Nein, aber nachher hätte man noch recherchieren können.

Er meinte während eines Interviews einmal, dass Österreich ohnehin die höchste Ausländerquote von allen habe. Als der Journalist entgegensetzte, dass das im Europaverlgeich zur Landesgröße nicht stimme, hat Haider argumentiert, dass man die Alpen als Fläche wegrechnen müsse, weil die nicht bewohnbar seien.

Wenn er mit solchen Beispielen gekommen ist, konnten wir ihm nichts entgegensetzen. Ich hatte so viele Diskussionsrunden, TV-Sendungen, Pressestunden mit Haider und jedes Mal bin ich untergegangen. Auch andere Journalisten. Und warum? Weil wir alle nicht genügend vorbereitet waren.

Meinen Sie, Armin Wolf hat aus früheren Fehlern anderer Journalisten gelernt? Er soll sich so intensiv vorbereiten, dass er meist nur ein paar Prozente seiner Recherchen benötigt fürs Live-Interview.

Er ist gut vorbereitet, aber auch ihm ist es seinerzeit nicht gelungen. Armin Wolf kann Politikern zumindest sagen, dass es nicht stimmt, was sie gerade behaupten. Insofern ist es besser geworden, als es früher war.

Wenn man in klassischen politischen Kategorien denkt, haben Journalisten eher einen Linksdrall, oder?

Ja, das ist so und war auch immer schon so. Neu ist die Aggressivität und Aversion innerhalb der Medienbranche. Wenn Sie Andreas Unterberger lesen, sind Sie fassungslos ob seiner Sprache, die er gegen die linken Mainstream-Medien verwendet.

Warum, glauben Sie, haben Parteimedien ein Revival?

Was meinen Sie damit?

Früher waren es Zeitungen, heute sind es Blogs – zackzack.at, kontrast.at, unzensuriert.at.

Ganz einfach: Man erreicht mit wenigen Leuten viele Leute. Die sind draufgekommen, was man im Digitalbereich und mit den sozialen Medien alles machen kann. Erfolgreich ist das aber auch nicht immer. Wenn man sich ansieht, was die ÖVP unter Kurz aufziehen wollte ... ich weiß nicht mal mehr, wie das geheißen hat.

Das war unter der Mitarbeit des Journalisten Claus Reitan.

Richtig, der Reitan war das. Wie es geheißen hat, weiß ich trotzdem nicht.
»Die Frage der Korruption interessiert in Österreich eigentlich niemanden«

Haben sich seit Ihrem Buch die Charakterfehler der Österreicher und ihrer Politiker verändert?

Es ist besser geworden. Wenn man sich die jetzige Situation rund um die ganze Korruptionsthematik ansieht, allerdings nicht so, wie ich es mir erhofft hätte. Die Frage der Korruption interessiert in Österreich ja eigentlich niemanden. Jeder regt sich zwar auf, wirklich bereit, etwas zu ändern, ist aber niemand. Schauen sie sich mal das Volksbegehren dazu an. Das ist ja ein Jammer! Wenn ein Volksbegehren gegen lange Tiertransporte eines Herrn Waldhäusl mehr Unterschriften einsammelt als das Antikorruptionsvolksbegehren, fragt man sich schon, warum die Toleranz gegenüber Politikern so hoch ist. Die Antwort lautet: Die Leute profitieren selbst davon, wenn auch in kleinerem Maßstab! Die Charakterfehler, die ich meinte, beziehen sich auf diese Unterwürfigkeit der Österreicher. Ich war mal mit einem Politiker Mittagessen und das Personal konnte sich gar nicht mehr einkriegen. »Endlich sind Sie wieder hier«, »Schon lange nicht mehr gesehen« und solche Sätze sind am laufenden Band gefallen. Als ich kurz Händewaschen gegangen bin, habe ich den Kellner sagen hören: »Jetzt ist der Trottl schon wieder hier.« Ein anderes Beispiel: Nach einer Diskussionsrunde geht dieselbe Person, die soeben noch kritisiert hat, hin und fragt, ob man nicht einen Job für den Sohn organisieren könnte. Die Leute haben kein Rückgrat. Diese Kriecherei und der aufrechte Gang passen nicht zusammen. Übrigens: Ein Schichtproblem ist das nicht, ganz im Gegenteil.

Was ist der größte Charakterfehler von Journalistinnen und Journalisten?

Die Nähe.

Zu Politikern.

Zum politischen Geschehen. Wobei ich etwas milde bin, denn das Land ist so klein.

Durch eine gewisse Nähe erhält man Informationen, die man sonst nicht erhalten würde.

Das ist richtig, aber: In der österreichisch vergatschten Atmosphäre teilen sich Politiker und Journalisten die untersten Ränge des Vertrauens mit Prostituierten. Das ist schon so, seitdem ich in dem Geschäft tätig bin. Und woran liegt das? Am Verschweigen, wer wirklich hinter den Medien steht, und an der Verpolitisierung des ganzen Landes.
»Politiker und Journalisten teilen sich die untersten Ränge des Vertrauens mit Prostituierten«

Wissen Sie, was auch mit Nähe zu tun hat? Wenn sich Politiker während TV-Sendungen duzen. Das hat vor einigen Jahren angefangen und ist mittlerweile wieder abgeflacht. Hinter vorgehaltener Hand – was wiederum mit der Glaubwürdigkeit der Medien zu tun hat – kommt es aber auch vor, dass TV-Gäste aus Journalismus und Politik abseits von laufenden Kameras per Du sind, während sie auf Sendung per Sie sind.

Ja, eh. Wissen Sie, was ich von Studentinnen und Studenten der FH gehört habe? Die Politiker drängen ihnen nahezu das Du-Wort auf. Was soll eine junge Journalistin machen, die bei einem Staatssekretär ein Interview bekommt und beim Reinkommen ins Zimmer gesagt bekommt, dass sie eh per Du sind? Kann man von dieser jungen Journalistin in dieser Phase ihrer Karriere Rückgrat verlangen, sodass sie sagt: »Nein, das sind wir nicht!«? Kann man nicht.

Wissen Sie noch, welchen Vorteil Sie jungen Journalistinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen attestiert haben?

Mhm.

Männer erklären einem gerne mal die Welt. Der Vorteil der jungen Journalistin: Sie muss einfach dasitzen, mit den Augen klimpern und zu verstehen geben, an seinen Lippen zu hängen.

Das ist die sogenannte Girly-Nummer. Ich sage dann immer, dass das schon so passt, weil sie damit einen Startvorteil haben. Die Politik ist, wenn auch nicht mehr so stark wie früher, eine Männerdomäne. Irgendwann allerdings genügt das Augenklimpern nicht mehr und man muss mit Kompetenz punkten. Das ist meine Warnung: Die jungen Journalistinnen müssen schauen, wann die Girly-Nummer komisch wird.

Tun Ihnen Politiker manchmal leid? Nehmen wir das Beispiel Pamela Rendi-Wagner. Sie bleibt, wahrscheinlich auch aufgrund ihres wissenschaftlichen Hintergrunds, meist sachlich und erhält, meist aus den eigenen Reihen, ungebetene Wortspenden.

Natürlich tut sie mir nicht leid. Im Gegenteil! Die Frau hat ein Durchhaltevermögen, das eigentlich unglaublich ist. Jeder Mann hätte da schon längst hingeschmissen. Den Kurz mit seiner Wehleidigkeit kann man da dazurechnen. Auch der Spindelegger hat hingeschmissen, weil ihm die Partei Schwierigkeiten gemacht hat. Mitterlehner hat wegen Kurz aufgegeben. Und Kurz hat sich halt ungerecht behandelt gefühlt.

Rendi-Wagner hat bei Peter Klien einmal gemeint, dass sie das Messer immer mit der sozialdemokratischen Freundschaft in den Rücken gestoßen bekommt. 

Ja, genau. (grinst) Leid tut sie mir aber nicht. Wer mir allerdings immer leidgetan hat, sind vor allem hervorgezerrte Frauen, von denen die Parteigranden aber wissen mussten, dass sie es nicht können. Jüngstes Beispiel ist die unsägliche Generalsekretärin der ÖVP, Laura Sachslehner. Wie kann man jemanden so überfordern und einen Posten geben, den sie nicht ausfüllen kann? Die war ja eine ärgere Sprechpuppe, als es die Aschbacher war. Die Sachslehner tut mir von Herzen leid!

Haben so junge Leute dann im Umkehrschluss zu viel Vertrauen in die Politik oder zu viel Vertrauen in die eigene Partei?

In die eigene Partei. Wir sind nun wieder bei den Charakterfehlern, die ja nicht nur die Wähler betreffen, sondern auch die Politiker. Es war niemand da, der ihr gesagt hat: »Mädel, lass es bleiben. Es ist zu früh.« Es war genauso niemand da, um Kurz so sagen, dass es so nicht geht. Man ist es mittlerweile doch wirklich leid, ob manche Themen strafrechtlich relevant sind oder nicht! Manche Dinge macht man einfach nicht! Und niemand war da, um einzugreifen und zu sagen, dass ihm das jetzt zu Kopf gestiegen ist. In Österreich haben wir einen Touch von Sunnyboy-Verehrung, den es sonst ja nirgendwo gibt. Haider war so jung und fesch. Grasser war so schön und reich. Und jetzt Kurz. Das ist noch nie gut ausgegangen. Und warum? Weil diese Leute kein Korrektiv hatten und haben. Die Wähler könnten das Korrektiv sein, aber auch in deren direkter Umgebung hätte es das gebraucht.

Weil es zu große Verführer waren?

Nein, weil die anderen zu schwach waren.

Sie sehen in Twitter nicht mehr als einen Vergleich männlicher Egos. Damit meinen Sie aber wahrscheinlich nicht nur Politiker, sondern auch Journalisten.

Ja, es ist ein lächerlicher Hahnenkampf, den manche Akteure aufführen. Als ich gemerkt habe, dass Twitter wegen des fehlenden Filters eine gefährliche Sache ist, bin ich sofort wieder ausgestiegen.

Würden Sie sich selbst als eitel bezeichnen?

Weiß ich nicht. Es stimmt aber sicher – unter Garantie –, was meine Tochter mir zuschreibt: Rampensau!

Man hat bei kritischen Fragestellern oftmals das Gefühl, dass es nicht so sehr um die Frage an sich geht, sondern um eine Profilierung à la »Ich habe das System durchschaut.«

Was hat das mit Eitelkeit zu tun?

Man will selbst besser dastehen.

Ja, okay. Man will zeigen, dass man das System durchschaut hat.

Womit wiederum eine starke Ähnlichkeit zu Politikern besteht, die das System ändern wollen, weil auch sie meinen, das System durchschaut zu haben.

Das ist mir jetzt zu intellektuell. Ich kapiere gerade nicht, was Sie meinen.

Sollen wir es so stehen lassen?

Was? Dass es mir intellektuell zu hoch ist? Absolut!

Damit habe ich nun meine Eitelkeit befriedigt.

(lacht)
Im Gespräch mit Journalistin Anneliese Rohrer

Warum sind Sie eigentlich wieder zur »Presse« zurückgegangen? Sie waren in Pension, haben ein Buch geschrieben, haben an der FH Wien Journalismus gelehrt, für den »Kurier« gearbeitet und einen Film mit ihrer Tochter gedreht. Klingt alles in allem zu abwechslungsreich, als wieder zum alten Arbeitgeber zurückzugehen.

Das ist ganz einfach erklärt. Ich war immer der Meinung, dass man in einem gewissen Biotop reüssiert. Ich kann mich noch gut erinnern, als Gerd Bacher Ende der 80er Jahre als Vorbereitung zu seiner dritten ORF-Amtszeit Herausgeber der »Presse« wurde. Ich war dagegen und musste daraufhin zu einem Gespräch mit ihm. Er meinte, dass es die Krönung seiner Karriere sei. Ich sagte ihm: »Herr Bacher, Sie wollen die Presse nur, damit Sie eine Infrastruktur haben, um wieder zum ORF zurückkehren zu können.« Er meinte nur, dass das nicht wahr sei, woraufhin ich zu ihm sagte, dass er nur im ORF reüssiert, weil er der ORF ist. In allen anderen Funktionen war er singulär erfolglos, was ich ihm auch so gesagt habe. Nach einem Jahr wurde er 1990 wieder ORF-General. Ich habe das auch bei anderen Persönlichkeiten beobachtet, wenn sie beispielsweise vom Journalismus in die Politik gelockt wurden oder anderen Angeboten erlegen sind. Die sind dann alle verschwunden. Ich wusste immer, dass »Die Presse« mein Biotop ist. Fragen Sie mich jetzt nicht, warum. Keine Ahnung! Ich bin übrigens nicht freiwillig vom Kurier weg, sondern weil irgendjemand interveniert hat. Offiziell hat es geheißen: »Wir müssen sparen.« Ausgemacht hat es mir aber nichts, weil ich dort sowieso nie zu Hause war.

»Man schiebt nichts auf. Hört nicht auf eure Eltern, greift jetzt nach den Sternen« haben Sie während der Pandemie der Jugend empfohlen. Haben Sie zum Abschluss unseres Gesprächs einen ähnlich motivierenden Satz parat?

Follow your bliss! Also: Schau nicht nach rechts und nach links. Lass dir nicht einreden, dass du einen Job nur wegen deiner Pension annehmen musst. Mach das, was dir deine Leidenschaft sagt! Das ist mein Mantra. Als meine Tochter meinte, dass das Filmen ihr Leben sei, meinte ich nur: »Fantastisch!« Mir tun die leid, die nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Ich wusste seit meinem 17. Lebensjahr, dass ich zur Zeitung gehen werde. Woher das kam, weiß ich nicht.

Lieblings-

Buch: Gedichte von Rainer Maria Rilke 
Film: Dirty Dancing
Song: Songs von Simon & Garfunkel 
Schauspieler/in: Judi Dench
Motto: If you are passionate about what you do, you will never work a day in your life. 
Autor/in: Oriana Fallaci
Serie: Die Südsee
Stadt: New York
Land: Neuseeland 
Gericht: Tafelspitz 
Getränk: Mineralwasser

Persönliches Mitbringsel

Eine Muschel, weil ich eine tiefe Sehnsucht nach Meer, Brandung und Stränden habe. Während meines dreijährigen Neuseelandaufenthalts wurde diese Sehnsucht befriedigt. Von dort habe ich diese Muschel mitgenommen.
Muschel von Anneliese Rohrer

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Schönstes: Ein TV-Auftritt in ORF 3.
Negativstes: Kann ich mich nicht erinnern. Es gab einiges, was nicht so gut war. 

Berufswunsch als Kind

Journalistin

Wen wollten Sie immer schon einmal treffen?

Drei Persönlichkeiten, wobei ich eine davon getroffen habe. Marion Gräfin Dönhoff, die ehemalige Chefredakteurin von »Die Zeit«. Oriana Fallaci, die italienische Schriftstellerin. Henry Kissinger, den US-amerikanischen Politiker. Ihn habe ich getroffen.

Teenie-Schwarm

Toni Sailer

Café-Bestellung

Mineralwasser

Ort des Interviews

Café Raimann 
Das Café Raimann befindet sich in Wien Meidling, also dem 12. Bezirk. Es ist der Heimatbezirk der berühmten Diskothek U4, des bekannten Meidlinger »L« sowie der politischen Akademie der Volkspartei. Nicht unweit davon, in der Schönbrunner Schloßstraße 285, hat das Interview mit Anneliese Rohrer im Traditionskaffeehaus Raimann stattgefunden.