Masha Dabelka
DJ
Kultur
06.04.2025
06.04.2025
Talkaccino-Interviews finden immer – bis auf ein paar wenige Ausnahmen – in Kaffeehäusern statt. Dir war es lieber, dass wir uns bei dir im Studio treffen, weil es schön ruhig ist. Ich war kurz überrascht, dass es ein DJ gerne ruhig haben möchte, wenn sie sich über ihren Beruf unterhält.
An mich habe ich bei meinem Vorschlag nicht gedacht, sondern rein an die Audio-Aufnahme. Zu viele Hintergrundgeräusche sind für eine Audio-Aufnahme nicht gut. Für mich persönlich ist die Geräuschkulisse kein Problem.
Die Überlegung, das Interview bei dir im Studio zu machen, hatte also nichts mit Ablenkungen zu tun, sondern mit deinem professionellen Anspruch für die bestmögliche Aufnahme.
Genau, das war der einzige Grund, als ich dir das vorgeschlagen haben.
Bleiben wir gleich bei deinem Beruf. Oftmals liest man von »DJane«, dabei heißt es in der Langform »Disk Jockey«, was im Grunde eine neutrale Ausdrucksweise ist.
Der richtige Ausdruck lautet »DJ«. Alles andere ist falsch. Wie du schon gesagt hast: DJ ist ein englisches Wort und daher kann man es nicht gendern. DJ gilt für Männer und Frauen ... für alle.

In einem anderen Interview meintest du, dass heutige Musiker ihr Interesse an der Musik relativ rasch verlieren und Produzenten schnell ausbrennen. Warum siehst du das so und was ist der Grund dafür?
Das Musikbusiness ist sehr tough und kompliziert. Gerade am Anfang hat man total viele Dinge zu erledigen – Management, Selbstvermarktung, Korrespondenz mit unterschiedlichen Leuten, die Pflege der unterschiedlichen Social-Media-Kanäle, die Produktion von Reels und natürlich parallel das Produzieren von Musik und Auflegen in Clubs. Nebenbei hat man noch einen Job – Vollzeit oder Teilzeit. Wenn man keine Unterstützung von der Familie bekommt, ist es fast unmöglich, das alles unter einen Hut zu bekommen.
Muss man heutzutage als Musikerin oder Musiker mehr Organisatorisches leisten im Vergleich zu früher? Sex, Drugs und Rock 'n' Roll gibt es nicht mehr?
Geben tut es alles. Auch Sex, Drugs and Rock 'n' Roll. Das Gute ist allerdings, dass man heute die Wahl hat. Du kannst dich für das eine oder andere entscheiden.
Warum soll sich jemand für das Organisatorische entscheiden, wenn man Sex, Drugs and Rock 'n' Roll haben kann?
Weil es das Ziel ist, bekannt zu werden in dem Sinne, dass man gehört werden möchte von anderen Menschen. Social Media ist eine gute Möglichkeit dafür. Jedem werden die gleichen Chancen gegeben und gleichzeitig ist es ein Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums. Ich vergleiche es gerne ein wenig mit dem Goldrausch im Wilden Westen. Es ist einfach eine verrückte Zeit. Du kannst Content erstellen, aber es heißt noch lange nicht, dass dieser Inhalt authentisch, emotional oder sinnvoll ist.
Wenn es darum geht, bekannt zu werden und Aufmerksamkeit zu bekommen, ist man dann aus den richtigen Gründen Musiker oder Musikerin geworden? Eigentlich geht es doch um Sound, Leidenschaft und Geschichten, die erzählt werden. Ob man dabei bekannt wird oder nicht, ist doch Nebensache.
Es gibt im Grunde zwei Strategien. Man sitzt zu Hause und im Studio, produziert in Ruhe Musik und alle fünf Jahre veröffentlicht man vielleicht ein Album. Die andere Strategie ist, jeden Tag ein bisschen was auf Social Media zu posten, aber dafür ohne tieferen Inhalt. Diese zweite Strategie funktioniert aktuell leider etwas besser und die Leute werden bekannt damit.
Glaubst du, die Tiefe kommt wieder?
Sie ist nicht verschwunden. Es gibt so viel Content und jeden Tag werden Tausende, wenn nicht Millionen Musikstücke produziert. Es ist unmöglich, die gesamte produzierte Musik zu hören. Die Frage ist allerdings, wie man am Algorithmus vorbeikommt mit der eigenen Musik, die einen berührt und die einem gefällt. Das ist nicht einfach. Emotionale Produzentinnen und Musiker, die authentische Sachen machen, waren immer da und werden immer da sein. Durch die ganzen Informationsgeräusche, die uns alle tagtäglich umgeben, ist es aktuell sehr schwierig, die rauszufiltern.
Gleichzeitig bedient der Algorithmus von Social-Media- und auch Musikplattformen wie Spotify die eigenen Bedürfnisse, um die User zu befriedigen. Kommt es damit nicht auch vor, dass man in der eigenen Bubble vielleicht doch bekannt wird, auch wenn man nur selten etwas veröffentlicht?
Ich selbst verwende kein Spotify, weiß aber, dass es auch dort nicht alle Musikstücke gibt. Ich bin einmal gefragt worden, eine Playlist zusammenzustellen von zehn Stücken. Drei davon waren nicht auf Spotify zu finden. Viele exzellente Musikstücke findet man dort nicht. Es handelt sich nach wie vor um einen beschränkten Zugang. Die Empfehlungsmechanismen auf YouTube finde ich ziemlich gut. Auch Bandcamp halte ich für relevant. Zu den Empfehlungsmechanismen von Spotify kann ich nicht viel sagen. Was ich dort habe, ist mein Artist-Account, auf den ich selbst aber keinen Zugriff habe, weil der meiner Promotion-Agentur gehört.
»Jede Musik braucht ihren Kontext«
Du bist seit über 20 Jahren als DJ aktiv. Wie hat sich das Musikbusiness und der Job des DJs in diesen zwei Dekaden verändert?
In Wirklichkeit hat sich nicht wirklich etwas geändert. Die ältere Generation sagt nach wie vor, dass die junge Generation sehr dumme Musik hört. Das war auch schon vor 30 oder 40 Jahren so.
Was ist dumme Musik?
Keine Ahnung, was diese Dinosaurier damit meinen. Mittlerweile gibt es auch 50- oder 60-jährige DJs. Es ist also alles sehr relativ geworden. Trotzdem ärgern sich die Alten darüber, dass die Jungen Scheißmusik produzieren, abspielen und anhören. Das war immer schon so.
Welche Musik findest du scheiße?
Das ist sehr subjektiv. Für mich persönlich bedeutet es: Wenn ich ein Musikstück höre und nichts dabei fühle, dann ist es scheiße.
Sehr diplomatisch. Gibt es ein spezielles Genre, mit dem du nichts anfangen kannst?
Es ist immer der Kontext wichtig. Wenn ich ein DJ-Set auflege, werde ich wahrscheinlich keine französischen Chansons oder Schlagermusik spielen. Zu Hause mit meinen Freundinnen singen wir schon irgendwelche blöden Gesänge in unterschiedlichen Sprachen. Das kann alles Mögliche sein. Jede Musik braucht ihren Kontext.
Wie geht es dir mit DJ Bobo oder DJ Gigi D’Agostino?
Die sind Popstars. Total in Ordnung. Beim passenden Kontext kann ich ihre Musik in meine Sets integrieren. Bisher ist das allerdings noch nicht passiert.

Wenn ich richtig recherchiert habe, hast du bereits mit vier Jahren begonnen, dich mit Musik zu beschäftigen. Ab 2004 hast du Raves in Sibirien veranstaltet. Wie kam es dazu und welche Erinnerungen hast du an die Zeit – sowohl als Vierjährige als auch an 2004?
Meine Eltern haben sehr früh gemerkt, dass ich singe und Interesse am Klavier habe. Daher haben sie mich in die Musikschule geschickt, wo ich dann zehn Jahre lang hardcore klassische Musik gelernt habe. Mit 16 habe ich erstmals elektronische Musik beim Fortgehen gehört. Da gab es eine riesige Tonanlage, die ich gespürt habe. In dem Moment habe ich gemerkt, dass Musik eine andere Begrenzung hat als die Noten, die am Papier stehen. Es gibt Millionen Obertöne und Milliarden von Instrumenten, die man bedienen kann. Das Universum ist in dem Augenblick für mich explodiert und hat sich extrem erweitert. Ich wusste auf einmal, dass die Welt der Musik nicht nur aus klassischer Musik und Pop besteht, sondern dass es weitere Dimensionen gibt. Das war schon sehr beeindruckend für mich. Mit der Zeit habe ich mit Freunden DJing gelernt. Obwohl ich lange Zeit immer wieder Fehler gemacht habe, fand ich es nicht sonderlich kompliziert. Damals konnte mir niemand zeigen, wie man richtig auflegt, dennoch ging es mir leicht von der Hand. Begonnen hat es mit Techno-Musik. Da es in meiner Stadt in Sibirien keinen Club gab, der uns die Möglichkeit geboten hat aufzulegen, dachte ich mir, dass wir uns das selbst organisieren müssen. Ich habe in einer Zeitung nach leeren Räumen recherchiert – Fabriken, Lagerhallen etc. Dort habe ich dann angerufen und gemeint, wir seien aus Moskau und möchten gerne Geburtstag feiern, auch wenn wir nicht viel Geld haben. Wir haben dann einen Ort gemietet für einen Tag, Tickets verkauft und gemeinsam mit anderen 250 Menschen gefeiert. Niemand wusste bis kurz vor Start, wo der Rave stattfinden wird. Ich wusste damals übrigens nicht, dass wir Raves veranstalten. Das habe ich erst später auf Wikipedia erfahren. In den USA und Großbritannien gab es das schon seit den 80ern. Für uns waren es einfach große Partys in den 2000ern.
Ihr habt also Raves veranstaltet, ohne zu wissen, dass das Raves waren.
Genau, wir wollten einfach unsere Musik hören. Ich habe damals eine Person gefunden, die privat Tonanlagen als Hobby gebaut hat. Der Typ war großartig. Damals war er wahrscheinlich etwas über 50 und hat das gemeinsam mit seinem 18-jährigen Sohn gemacht. Der war verrückt und hat in Spiegelschrift kyrillisch auf Zettel geschrieben. Ein wahnsinnig kluger Mann, der Tonanlagen aus Spaß gebaut hat und uns bei unseren Raves extrem geholfen hat. Wir haben seine Tonanlagen für eine sehr kleine Gage mieten können.
Wie viele Menschen waren bei euren Raves?
Begonnen hat es mit 250, am Ende waren es 500. Die Menschen sind sogar aus den umliegenden Städten gekommen. Nebenstadt bedeutet in Sibirien: über 600 Kilometer Entfernung. Irgendwann kam dann die Polizei und hat unseren Rave gecancelt. Alle mussten heimfahren, was dazu geführt hat, dass viele aggressiv geworden sind. Die sind teilweise einen Tag mit dem Auto unterwegs gewesen, um an unserem Rave teilzunehmen, der dann nicht stattfinden durfte. Das war dann meine letzte Veranstaltung. In dieser Nacht habe ich mich dazu entschlossen, nicht mehr in Russland leben zu wollen. Das ist nun 20 Jahre her.
Drei Jahre später, also vor 17 Jahren, hast du deine Heimat Russland verlassen und bist nach Österreich gekommen. Warum Österreich?
Das war Zufall. Ich habe mich damals aus Spaß auf »female:pressure« angemeldet, einer Plattform für elektronische Musik für weibliche DJs. Sie wurde von der ersten weiblichen DJ gegründet, einer Österreicherin. Ich war eine von zwei oder drei russischen DJs. Durch die Plattform wurde ich gefunden und von Sibirien nach Salzburg eingeladen, um vorzuspielen. Danach ging es nach Wien auf eine Exkursion zur Akademie der bildenden Künste. Ich habe dann ein Touristenvisum beantragt, mich für zwei Wochen in ein Hostel eingemietet und probiert anzutreten, um aufgenommen zu werden. Anfänglich gab es ein Problem, weil ich auf Windows gearbeitet habe und die Kommission Macs hatte, womit sie mein Portfolio nicht anhören konnten. Sie konnten meine CD nicht anhören, womit ich nicht aufgenommen werden konnte. Es war denen scheißegal, dass ich über 5.000 Kilometer von Russland angereist bin. Es war teuer und kompliziert, anzureisen und ein Visum zu bekommen. Und dann konnten die auf ihren teuren Geräten meine CD nicht abspielen. Zusätzlich war ich damals eine der wenigen Ausländerinnen, die nur englisch und russisch gesprochen haben. Glücklicherweise habe ich durch Zufall am Abend jemanden kennengelernt. Ich sage immer, sie war ein blonder Engel, der mir geholfen hat. Wir haben uns unterhalten und sind dann draufgekommen, dass ich aufgenommen werden möchte und sie beim Institut arbeitet. Sie hat dann bei der Kommission erwirkt, dass sie mein Portfolio anhören, wodurch ich aufgenommen wurde. Ohne sie wäre ich einfach abgelehnt worden. Durch diese Erfahrung hat sich mein Leben um 180 Grad geändert. Ich weiß leider nicht mehr ihren Namen, aber durch sie hat sich mein Leben komplett verändert. Es gibt so viele Sachen, die man im Leben nicht kontrollieren kann. Viele Chancen – gute, aber auch schlechte. Davor habe ich total Angst.

Du meintest vorhin, dass du anfänglich als DJ Fehler gemacht hast, auf die dich niemand hingewiesen hat. Was sind klassische Fehler, die man machen kann?
Unakkurat und unvorsichtig mit dem Mixer zu arbeiten. Wenn man die Technik nicht wirklich richtig einsetzt, kann die Tonanlage verbrennen. In einem teuren Club wird das wahrscheinlich nicht passieren, weil die einen Limiter haben. Wenn man den nicht hat und die Tonanlage überlastet, kann man sie sehr schnell kaputt machen.
Darf ich dir einen kurzen Einblick in meine DJ-Vergangenheit geben?
Ja bitte, unbedingt.
Als Kind habe ich bei meinen Großeltern einen Plattenspieler gefunden. Auf einer Vinyl-Platte war die »Nibelungensage« zu hören. An einer Stelle habe ich die Platte gedreht, um mir den Part nochmals anzuhören. Ich habe sozusagen gescratcht, fand es lustig und hab weiter gemacht, bis meine Großeltern gekommen sind und meinten, so mache ich die Platte kaputt, ich soll damit aufhören. Damit war meine DJ-Karriere vorüber, bevor sie begonnen hat.
(grinst) Wahrscheinlich hättest du die Platte tatsächlich kaputt gemacht. DJing besteht nicht nur aus dem Sound, der beim Scratchen entsteht. Aber ja, viele kleine Kinder haben Interesse daran. Ich hoffe, dass Österreich diesbezüglich bald weniger konservativ wird und Eltern ihre Kinder bei DJ-Kursen anmelden. In Los Angeles und London ist das gang und gäbe.
Meinst du damit, dass aus mir niemals ein DJ geworden wäre?
Ich glaube, DJing beginnt mit dem Interesse an Musik. Das ist das Allerwichtigste.
Du arbeitest auch als Sound-Designerin. Wie sehr fließt deine DJ-Arbeit ein?
Musikproduktion, -theorie, und -struktur helfen mir, mehr Freiheiten am Pult zu haben. Wenn wir an einem DJ-Set arbeiten, erstellen wir eine Collage. Das Verständnis, was auf unterschiedlichen Frequenzbereichen entsteht, was wir am DJ-Mixer erstellen, hilft mir, harmonische und schöne Übergänge zu kreieren. Ich finde die Übergänge von der Musikproduzentin zum DJing und umgekehrt nicht sonderlich schwer. Wahrscheinlich, weil ich ein Geek bin. Ich habe einen Computer, seitdem ich auf dem Klavier gespielt habe. Ich schraube daran herum, reinige die Teile im Inneren und so weiter.
Produzierst du auch Werbe-Jingles und verkaufst Klingeltöne?
Ja, auch das mache ich. Das ist sogar relativ einfach.
Womit verdienst du das meiste Geld?
Mit meiner DJ-Schule und meinem Unterricht an der Musik- und Kunstuniversität. Mein Hauptjob ist die DJ-Schule, an der ich fast jeden Tag unterrichte.
Würde es dich nicht reizen, wieder Underground-Raves zu veranstalten – wie damals in Sibirien?
Oh nein, die Zeiten sind vorbei. Dieses Kapitel ist abgeschlossen. Mein letzter sogenannter Rave hat in einem Park stattgefunden als Charity-Event, als der Ukraine-Krieg begonnen hat. Der Gewinn ging an Opfer sexueller Gewalt in der Ukraine. Mittlerweile veranstalte ich nichts mehr.
Wo hat die Veranstaltung stattgefunden?
Eigentlich hätte sie im Park beim Heldenplatz stattfinden sollen, aber wegen Demonstrationen rund um die FPÖ haben wir den Rave in den Schönbrunner Schlosspark verlegt. Obwohl das Wetter nicht sonderlich schön war, sind viele Menschen gekommen.

Braucht man in unserer heutigen digitalen Welt noch Vinyl und Plattenspieler oder reicht ein Computer vollkommen aus?
Digitale Medien haben nie einen Plattenspieler abgetötet. So wie Kino das Theater nicht umgebracht hat. Die Statistik und die Verkäufe zeigen, dass das Interesse an Vinyl seit 2011 jährlich steigt. Beginnern würde ich jedoch nicht empfehlen, gleich mit Platten zu starten, da sich der Musikgeschmack über die Jahre verändert. Man müsste mit der Zeit alle Platten verschenken oder wieder verkaufen. Erst wenn man ausgebildet ist und seinen Musikgeschmack entwickelt und etabliert hat, sollte man sich einen Plattenspieler kaufen. Ohne Computer hat man keine visuelle Abbildung und keine Zeitangabe vom Track. Man muss seinem Musikgedächtnis, dem Rhythmusgefühl und dem eigenen Gehör vertrauen. Es ist intuitiv und fühlt sich anders an, auch wenn es nicht wirklich etwas mit Intuition zu tun hat, weil es ein Handwerk ist.
Du sammelst Platten.
Das stimmt, aber eine echte Sammlerin bin ich nicht. Ich habe ungefähr 400 Platten. Immer wenn es mehr werden, verkaufe ich wieder welche und verwende sie für die Schule.
Warum gerade 400?
Ich habe ziemlich spät damit begonnen, Vinyl zu kaufen – 2019 oder 2020. Ich wusste bis damals nicht, ob ich in Österreich bleiben darf. Ich hatte bis dahin nicht viel – kein Equipment, kein Extra-Gewand. Ich habe für ungefähr 13 Jahre sehr minimalistisch gelebt.
So lange wusstest du nicht, ob du bleiben kannst?
Mein Visum musste jedes Jahr verlängert werden. Während ich bleiben konnte, habe ich gesehen, wie viele gut ausgebildete Leute Österreich verlassen mussten. Manche teilweise mit Doktortitel. Mittlerweile weiß ich, dass ich bleiben darf. Als ich wusste, dass es so weit ist, habe ich meine DJ-Schule eröffnet und Equipment gekauft.
Du vergleichst Platten mit Gemälden.
Absolut, beides ist etwas Schönes und stellt eine Investition dar.
Wie viel ist deine Plattensammlung wert?
Das müsste ich googeln. Ob sie dann verkauft werden kann oder nicht um den Preis, ist wieder etwas anderes. Bevor ich aber welche verkaufe, verwende ich sie in der Schule.
Kennst du das Buch, den Film und die Serie »High Fidelity«?
Ich hab davon gehört und den Link dazu von Leuten zugeschickt bekommen, hab es mir aber nie angesehen.
Was rätst du jungen Menschen, die DJ werden wollen?
Sehr gerne! Was soll ich anderes sagen? (lacht)
Ist der Wunsch oder Gedanke daran vielleicht anders als die Realität? Müsstest du nicht davon abraten, wenn du merkst, dass das nicht zusammenpasst?
Meine Erfahrung zeigt, dass 70 Prozent meiner Studierenden das nur für sich lernen und nicht weil sie als DJ aktiv sein wollen. Es ist für sie ein Instrument und dazu da, zu Hause Spaß mit Freunden zu haben. Eigentlich ist es für viele eine Ablenkung vom Alltag. Und diejenigen, die sagen, sie wollen DJ werden, haben unterschiedliche Gründe. Manchmal ist es Ego. Manchmal geht es darum, auf der Bühne stehen zu wollen. Manchmal geht es um den Wunsch, Aufmerksamkeit von anderen zu bekommen. Manchmal geht es einfach nur darum, seine Musik vor anderen zu spielen, um den eigenen Musikgeschmack zu teilen.
»Ich hasse Bühnen«
Was ist die Anatomie des DJing?
Ich habe dazu einen Videokurs. Aus meiner Sicht ist es der verrückteste DJ-Kurs der Welt. Irgendwie war das in kurzer Zeit eines meiner größten Projekte, das mich total ausgebrannt hat. Ich habe aktuell keine Energie für Marketing, obwohl das in unserer Zeit sehr wichtig ist. Es ist fast schon egal, welches Produkt du hast, Marketing macht die Hälfte des Aufwands aus. Bei dem Videokurs handelt es sich um eine Comedy-Show rund ums DJing. Ich habe probiert, das sehr informativ und gleichzeitig lustig aufzubereiten. Der Kurs dauert insgesamt drei Stunden und gibt Einblicke ins DJing. Es geht darum, das Handwerk zu verstehen und damit aufzuräumen, dass es nur um Plattenspieler geht. Die Hälfte des Erfolgs eines DJs ist der Umgang mit Nerven auf der Bühne.
Was ist für dich das Schwierigste, wenn du im Club auf der Bühne stehst?
Ich hasse Bühnen! Es gibt einige Clubs, die keine Bühne haben, sondern wo man auf der gleichen Ebene mit dem Publikum steht. Das ist für mich viel angenehmer. Ich sehe DJs nicht als Performer. Für mich ist es eine Meditation und man bewegt sich durch einen Dschungel der eigenen Musiksammlung. Es ist dunkel, und man bewegt sich intuitiv durch eine Collage, mit der man eine Geschichte abseits der eigenen Worte erzählen möchte. Man sollte selbst nicht im Licht stehen, sondern die Musik von anderen Personen in den Vordergrund stellen. Es ist eine gemeinsame Erfahrung im Club. Es geht nicht darum, konstant den DJ anzusehen und darauf zu warten, dass er Signale gibt. DJs sollten keine performativen Figuren sein, wenngleich man natürlich, wie vorhin besprochen, die Wahl hat. Es gibt viele Optionen, wie man sich auf der Bühne präsentieren kann. Ich bin sicherlich keine von denen, die tanzen und mit den Händen Zeichen in die Luft abgeben.
Was ist, wenn du merkst, dass den Leuten die Geschichte, die du erzählst, nicht gefällt? Änderst du dein Set und gehst aufs Publikum ein?
Dagegen habe ich eine große Immunität. Ich habe vor leeren Floors und vor vollen Tanzfloors gespielt.
Also ist es dir egal.
Eigentlich schon.
Weil es dein Abend ist?
Ich bin eine große Kritikerin von mir selbst. Wenn der Club voll ist, weiß ich, dass es fantastisch wird und ich es gut machen werde. Aktuell ist es allerdings so, dass sich das Nachtleben in einer großen Krise befindet. Die Clubs sind eigentlich fast halb leer. Es ist schwerer geworden, eine große Veranstaltung zu organisieren. Die Bars sind teuer geworden und die Stromrechnungen sind sehr hoch. Die Eintritte sind wahnsinnig, teilweise bis zu 20 Euro! Momentan passiert es sehr oft, dass man vor leeren Floors spielt. Diese ganzen Instagram-Videos mit glücklichen DJs, die auf Festivals mit 3.000 Menschen spielen, sind Ausnahmen. Outdoor-Festivals finden im Sommer statt und mögen voll sein, aber Clubs im Winter haben es momentan nicht leicht. Um auf deine Frage zurückzukommen: In Österreich und Europa hatte ich noch nie ein Problem, weil sich das Publikum sehr gut mit Musik auskennt. Wenn ich dieselbe Musik in Sibirien spielen würde, wäre die Tanzfläche sehr schnell leer. Donna Summer versteht dort niemand, weil sie niemand kennt. Europäer würden nicht versehen, dass sie dort niemand kennt. Da sind wir wieder beim Thema, dass Musik abhängig vom Kontext ist. Wenn ich mich damals von den Menschen dort beeinflussen hätte lassen, hätte ich gedacht, dass meine Musik und ich schlecht sind, weil niemand dazu tanzt. Das würde mir hier nicht passieren. Aber gut, wenn jemand weglaufen möchte, bin ich selbstbewusst und weiß genau, was ich tue. Diese Musik hat mich nach Europa gebracht.
Lieblings-
Buch: 1984 (George Orwell)
Film: Stalker
Song: Kissed by the Sun (Jon Beltran)
Schauspieler/in: Tilda Swinton
Motto: Das Leben ist eine Überraschung.
Autor/in: Wladimir Sorokin
Serie: Lessons in Chemistry
Stadt: Barcelona
Land: Großbritannien
Gericht: Frisches Brot
Getränk: Hausgemachter Eistee
Film: Stalker
Song: Kissed by the Sun (Jon Beltran)
Schauspieler/in: Tilda Swinton
Motto: Das Leben ist eine Überraschung.
Autor/in: Wladimir Sorokin
Serie: Lessons in Chemistry
Stadt: Barcelona
Land: Großbritannien
Gericht: Frisches Brot
Getränk: Hausgemachter Eistee
Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche
Schönstes: Ich habe ein Test-Press meiner neuen Vinyl-Platte bekommen. Ich habe schon lange nichts mehr veröffentlicht, daher war es sehr gut, endlich wieder etwas zu veröffentlichen.
Negativstes: Meine Release-Party war halb voll. Eigentlich war sie fast leer. Das war schlimm für mich. Ich war traurig, dass nicht so viele Menschen hingekommen sind.
Negativstes: Meine Release-Party war halb voll. Eigentlich war sie fast leer. Das war schlimm für mich. Ich war traurig, dass nicht so viele Menschen hingekommen sind.
Persönliches Mitbringsel
Ein Eichhörnchen-Polster, den mir meine Mutter gemacht hat.

Berufswunsch als Kind
Kinder ändern ihre Meinung jedes Jahr. Einmal wollte ich Krankenschwester werden, dann Ballerina. Ich glaube, ich wollte Tänzerin werden.
Wen wolltest du immer schon mal treffen?
Es gibt viele interessante Schriftsteller, aber auch viele Menschen, die Arschlöcher sind. Ich bin mir also nicht sicher, wen es da geben würde. Fällt mir niemand ein, auch wenn die Frage interessant ist. Wenn ich so nachdenke, auch wegen der Zeit, in der wir uns aktuell befinden, würde ich wahrscheinlich gerne bei den Nürnberger Prozessen dabei sein wollen, um zu sehen, wie das damals funktioniert hat.
Teenie-Schwarm
Ich hatte niemanden. Ich hatte auch keine Poster von irgendjemandem aufgehängt. Für wen ich geschwärmt habe, war mein Hund.
Getränk während des Interviews
Sanddorn-Cranberry-Tee
Ort des Interviews
Creative Cluster
Da Masha Dabelka, wie eingangs im Interview thematisiert wurde, das Interview wegen besserer Akustik in ihrem Studio führen wollte, hat es im Creative Cluster im 5. Bezirk stattgefunden. Dabei handelt es sich um ein Creative Hub auf 3.600 Quadratmetern mit insgesamt 140 Künstlerinnen und Künstlern in über 40 Studios.
Da Masha Dabelka, wie eingangs im Interview thematisiert wurde, das Interview wegen besserer Akustik in ihrem Studio führen wollte, hat es im Creative Cluster im 5. Bezirk stattgefunden. Dabei handelt es sich um ein Creative Hub auf 3.600 Quadratmetern mit insgesamt 140 Künstlerinnen und Künstlern in über 40 Studios.
The Anatomy of DJing
Weitere Interviews

Gesellschaft15.05.2024
Gartengestalterin Claudia Wolf
»Ich beanspruche für mich nicht, den grünen Daumen haben zu müssen«

Leben25.04.2023
Musiktherapeutin Nina Edtinger
»Ich bin keine musikalische Musiktherapeutin«

Leben23.12.2021
Umweltaktivistin Jasmin Duregger
»Die lebensfeindlichste Erde ist immer noch besser als jeder andere Planet«