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Fotograf Alain Barbero im Interview
 
       
       
Alain Barbaro

Fotograf

Kultur
25.06.2024
Alain Barbero wurde 1960 in Annecy, Frankreich, geboren. Er lebt und arbeitet in Paris und Brüssel, wobei ihn seine Projekte immer wieder nach Wien führen – und von dort aus zurück nach ganz Europa, um seine Fotoausstellungen und Buchpublikationen zu präsentieren. Eine davon ist der Buchband »Melange der Poesie«, in dem Autorinnen und Autoren in Wiener Kaffeehäusern mittels Schwarzweißfotografie porträtiert wurden. Im Interviewporträt mit Talkaccino verrät Alain, wie er die Essenz des Moments in seinen Bildern festhält, warum er vorzugsweise schwarzweiß fotografiert und was es mit dem Handwerk analoger Fotografie auf sich hat, in einer sich stets weiter digitalisierenden Welt.

Wir sitzen – passend zu deiner Fotografie und Herkunft sowie dem Interview-Format Talkaccino – im Beaulieu, einem frankophonen Wiener Innenstadt-Café. Eigentlich schon fast zu klischeehaft für unser heutiges Gespräch.

Ja, stimmt. (lacht)

Nach welchen Kriterien wählst du aus, welche Persönlichkeit du in welchem Café fotografierst?

Ich wähle das Café nie aus! Ich folge immer den Autorinnen und Autoren. Alle wählen ihr eigenes Café. Weißt du, warum? Weil ich in ihrer Welt ankommen möchte. Ich will ihre Umgebung kennenlernen und darin eintauchen. Würde ich die Auswahl treffen, wäre es nicht dasselbe. Meine Arbeit liegt darin, mich in ihre Welt zu begeben. Das Dekor ist ein Teil der Leute. Ich treffe sie immer in ihren Lieblingscafés. In Deutschland ist es allerdings ein wenig anders als in Wien. Dort sagen mir die Autoren, dass sie nicht wirklich Kaffeehäuser haben. Okay, dann wird es eben ein anderer Ort – ein Glacier, irgendein Lokal. Wenn sie es auswählen, verbinden sie meist eine Geschichte damit, haben dort irgendwelche Erfahrungen gemacht und sind locker. Das alles ist schon sehr wichtig.

Meine Fotos, die ich heute von dir mache, werden Lichtjahre von der Ästhetik deiner Bilder entfernt sein. Hast du ein wenig Angst, wie du auf ihnen wirken wirst?

Ob ich vor dem Ergebnis Angst habe? Nein, überhaupt nicht. Ich habe deine Fotos gesehen. Sie sind toll und fangen den Moment ein. Ich dachte, dass ein Fotograf beim Interview dabei sein wird. Aber gut ... jetzt, wo du fragst, vielleicht, sollte ich mich ein wenig fürchten. (lacht) Wovor ich mehr Angst habe, sind Filme. Als wir zehn Jahre »Café Entropy« gefeiert haben – der Blog, auf dem das Buch »Melange der Poesie« basiert –, gab es einen Dokumentarfilm, der in Paris und Wien entstanden ist. Er war lustig gemacht und wir haben viel gelacht. Als wir den Newsletter zur Aussendung aufbereitet haben, hatte ich allerdings Angst, mich in dem Film zu sehen. Wenn ich mich darin ansehe, finde ich mich ein bisschen komisch. Alle sagen mir, dass ich halt so bin. Jedes Mal, wenn der Film gezeigt wird, gehe ich aufs Klo. Mit Fotos habe ich überhaupt kein Problem. Man kann mit der Kamera spielen und posieren. Bei Filmaufnahmen geht das nicht.
Im Interview: Fotograf Alain Barbero

In den 80ern und 90ern hast du französische Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Politik fotografiert. In den letzten Jahren haben vor allem Personen aus dem österreichischen Literaturbetrieb vor deiner Linse Platz genommen. Wie sehr unterscheidet sich deine Arbeit von damals im Vergleich zu heute?

Die Arbeit mit Politikern unterscheidet sich vollkommen von der Arbeit mit Autoren. Politiker posieren nicht, Autoren schon. In der Politik sind es mehr Reportagen. Sie können nicht wirklich stillhalten und man begleitet sie während ihrer Arbeit – beim Reisen, bei Veranstaltungen und bei Treffen. Ich war mehr ein Reportage-Fotograf. Ich konnte die Situationen nicht wirklich kontrollieren. Dabei mag ich es sehr, mein Gefühl zu projizieren. Mit Autoren geht das. Letztens erst hat mir eine Autorin – ich werde keine Namen nennen – gesagt, dass sie einige meiner Fotos stören. Weißt du, warum? Sie meinte, dass in einigen Fotos ein Teil von mir steckt. Das stimmt, weil es ein Bild zwischen mir sowie der Autorin bzw. des Autors ist und daher ein Teil von beiden darin steckt. Es ist komplett normal, auch wenn ich probiere, neutral zu sein. Bei Politikern hatte ich nicht die Kraft dazu, sie zu halten. Es gab nie viel Zeit, einen Hintergrund aufzubauen. Das war etwas frustrierend für mich, auch wenn die Politiker glücklich mit meinen Fotos waren. Mit Künstlern ist es anders, weil es einen Austausch gibt. Wir bauen uns im Zuge eines Gesprächs eine gemeinsame Bühne. So wie wir das jetzt machen. Politikern geht es mehr um ihr Image.

Autorinnen und Autoren auch.

Stimmt, guter Punkt. Aber gemeinsam mit mir vergessen sie das. Es gibt zwei Arten von Autorinnen und Autoren. Die einen, die schüchtern sind und meinen, nicht fotogen zu sein. Und dann gibt es die, die Fotografen sehr gewohnt sind. Beide Arten sind ein Problem und sehr schwierig zu fotografieren. Warum das so ist? Die, die meinen, nicht fotogen zu sein, haben Angst und halten Abstand. Es handelt sich dabei meist um Frauen. Ich probiere, diese Einstellung mit langen Gesprächen zu zerstören. Wenn sie dann müde werden, wird es einfacher. Ich mache meistens ein- bis zweihundert Fotos. Sie brauchen also nicht darauf achten, wie sie wirken, weil ein einzelnes Foto nicht wichtig ist. Und irgendwann, wenn es schon lange dauert, möchten sie gerne eine Pause machen. Eine Autorin letztens ist dann zur Vitrine gegangen und hat einen Kuchen ausgewählt. Ich habe sie dabei fotografiert, und genau das eine Foto war es dann. Es war wie in einer Reportage. Für sie war es eine Pause, nachdem wir uns drei Stunden unterhalten haben und fotografiert wurde. Als sie bei der Kuchenvitrine stand, war sie endlich frei und hat sich aufs Essen gefreut. Das Foto ist auch im Buch zu sehen. So etwas mag ich. Es ist eine Herausforderung. Wenn jemand meint, nicht fotogen zu sein, kann ich den Schlüssel finden. Der Weg ist ein Abenteuer für mich. Mit Autorinnen, die sehr an Fotografen gewohnt sind, ist es sehr ähnlich. Die gehen mal 20 Minuten auf die Toilette, um sich zu schminken, und posieren dann die ganze Zeit. Eigentlich ist es dann andauernd dasselbe Foto. Auch das möchte ich zerstören. Sie möchten ein bestimmtes Bild von sich zeigen. Ich hingegen möchte vielleicht ein ganz anderes aufnehmen. Nach einer Fotosession ist es nicht immer einfach, ein Foto auszuwählen. Wenn ich mir nicht sicher bin, schicke ich zwei Fotos zur Auswahl. Wenn Foto A ein bisschen spezieller ist, wählen 90 Prozent Foto B, weil es konventioneller ist. Stärker ist Foto A. Wenn sie dann aber in ihrem Umfeld fragen, welches ausgewählt werden soll, wird meist das speziellere gewählt. Das zeigt, dass wir, auf uns selbst bezogen, nicht immer die beste Entscheidung treffen, wenn wir Fotos auswählen.
»Schwarzweißfilme sind poetischer als Farbfilme«

Im Vorwort von »Melange der Poesie« schreibt Barbara Rieger, die das Buch gemeinsam mit dir herausgebracht hat, dass deine Sprache aus Licht und Schatten besteht und du mit Schwarzweißfotografie genügend Raum für Fantasie lässt. Klingt ein wenig nach David Lynch, der einmal meinte, dass durch die Imperfektion des analogen Films Informationen verloren gehen, die einen Raum zum Träumen lassen. Macht das die Magie für dich aus? Bei Schwarzweißfotografien fehlt die Information der Farbe und das lässt Raum für Interpretation. Willst du uns einen Einblick in deine Fantasie geben?

Ich wusste nicht, dass David Lynch das gesagt hat, aber es trifft perfekt meine Meinung. Wenn Information fehlt und man nicht so präzise ist, fehlt etwas und man hat mehr Raum für die eigene Fantasie. Der Raum wird mit Fantasie gefüllt. Ich bin gegen zu viel Beschreibung und mehr für ein Heraufbeschwören. Schwarzweißfilme sind poetischer als Farbfilme. Es handelt sich um Gedichte. Ich mache auch Farbfotos, aber bei Schwarzweiß kannst du mehr ergänzen. Bei Farbfotos kannst du auch weniger nacharbeiten. Da geht maximal eine Stunde. Bei Schwarzweißfotos kannst du zehn Stunden nacharbeiten. Es ist viel mehr Arbeit.

Fotografierst du nach wie vor analog und entwickelst deine Bilder selbst oder hast du mittlerweile komplett auf Digital gewechselt?

Mittlerweile fotografiere ich nur noch digital. Es ist schwierig, die chemischen Produkte für die Entwicklung zu finden. Außerdem habe ich keinen Raum. Wenn man nicht alleine lebt, ist es ein bisschen schwierig. (grinst) Bei der Arbeit mit analogen Fotos kannst du das Badezimmer zum Entwickeln verwenden. Dann bist du da aber auch gleich mal sieben Stunden drinnen. Meiner Frau kann ich nur schwer erklären, dass das Badezimmer jetzt mal stundenlang belegt ist. (lacht) Man bräuchte dann ein Studio an einem anderen Ort und dann wird es schon kompliziert. Mit Daten und den Programmen »Lightroom« und »Photoshop« kannst du alles am Computer machen. Mit Rohdaten, also DNG- oder RAW-Formaten, kannst du viel machen. DNG ist Leica, RAW Nikon. Einige Fotokünstler, die eine Leica haben, stellen einfach auf Schwarzweiß um und nehmen so ihre Fotos auf. Ich fotografiere mit allen Informationen in Farbe, die ich via DNG bekomme, und wandle nachher in Schwarzweiß um.
Im Gespräch mit Fotograf Alain Barbero

Du fotografierst also in Farbe und nimmst sie nachher aus deinen Bildern heraus.

Richtig, und die genauen Einstellungen sind mein Geheimnis. Es ist eine Mischung aus drei Farben, aus denen ich ein typisches Schwarzweißfoto erhalte. Ich habe sehr viel ausprobiert, um genau zu dieser Mischung zu kommen. Es ist eine von vielen Schwarzweißkombinationen. Man kann es mit einem speziellen Geruch vergleichen. Und sobald ich diese eine Kombination habe, kann ich noch viele weitere Selektionen vornehmen, um eine ganz bestimmte Stimmung zu erzeugen. Ich mag’s theatralisch. So wie früher bei Analogfotografie. Allerdings nicht zu viel, weil es sonst komisch wird. Dramatische Situationen zu erzeugen gefällt mir. Wenn ein Autor zum Beispiel auf jemanden wartet, blickt er vielleicht nach unten. Ich hingegen mag es, wenn sie nach oben sehen, weil es in Richtung Abflug geht und man so den Funken in den Augen sieht. Um diesen Funken zu erschaffen, musst du inszenieren. Es ist die Mischung aus Dekor, Gespräch und Thema.

Dann muss es dir allerdings gelingen, die Natürlichkeit des Moments einzufangen. Zu inszeniert darf es also nicht sein.

Natürlich. Wenn ich gefragt werde, was gemacht werden soll, sage ich immer: Was du willst, spiele mit deinem Körper. Manchmal gebe ich ein Thema vor, zum Beispiel, dass jemand zu früh an einem Ort ist und auf jemanden wartet. Es gibt auch einen Trick, den schon Modefotografen in den Jahren des analogen Films angewendet haben. Die ersten Fotos haben sie immer ohne Film geschossen. Erst nach einer Stunde haben sie den ersten Film eingelegt. Ich mache es ähnlich. Bei den ersten Fotos drücke ich einfach ab. Mit der Zeit gewöhnen sich die Leute und werden locker. Einmal habe ich es erlebt, dass das erste geschossene Foto DAS Foto war, ein einziges Mal. Das war mit einem alten Mann. Mit alten Menschen ist es generell einfacher. Die haben einfach viel Erfahrung. Er war bereits vor Ort, und ich war zu spät, was selten passiert. Als ich kam, sah ich ihn am Fenster sitzen und die Sonne strahlte herein, und ich dachte mir nur: »Ahhh, das ist es!« Es stand ein Glas Wein vor ihm, und ich sagte, er solle sich nicht bewegen. Alle Fotos danach waren schlechter.
»Menschen zu entdecken und Fotos von ihnen zu machen ist meine Nahrung«

Seit einiger Zeit erlebt analoge Fotografie – gerade bei Jungen – einen Hype. Verstehst du, warum? Die meisten werden ihre Fotos nicht selbst entwickeln, wie du es gemacht hast. Macht analoge Fotografie dann überhaupt Sinn?

Es verhält sich wie mit Vinyl. Das gibt es mittlerweile auch wieder viel öfter. Es kratzt, ist wärmer und hat mehr Charme. Bei analogen Filmen arbeitest du mit deiner Hand. Wir erleben sozusagen eine Rückkehr der Handwerker. Du bist wie ein Professor, der mit Chemikalien an einem Prozess arbeitet und danach stinkt. Die Jungen wollen diese spezielle Stimmung kennenlernen und erleben. Für mich ist es mittlerweile einfacher, mit Daten zu arbeiten. Für analogen Film brauchst du viel mehr Zeit. Was ich an meiner Arbeit mag: Ich treffe Menschen. Machmal vergesse ich sogar, Fotos zu machen, wenn man sich gut unterhält. Dann mache ich noch schnell zehn Minuten lang Fotos am Schluss. Menschen zu entdecken und Fotos von ihnen zu machen ist meine Nahrung. Ein Austausch mit Künstlern nährt mich. Zwei Fotosessionen am Tag zu machen schaffe ich daher nicht. Wenn die Verbindung zu jemandem gut war, bin ich erschöpft und brauche Ruhe.

Wir beide machen im Grunde etwas sehr Ähnliches. Wir treffen Menschen in Kaffeehäusern, verbringen Zeit mit ihnen und wollen das Innere ihrer Persönlichkeit zeigen. Mit einem Unterschied: Ich habe ein ganzes Gespräch Zeit. Du hast einen Moment, einen Knopfdruck, eine Aufnahme.

Aber in einer Aufnahme zeige ich alles. Am Ende ist es ein Klick von vielen.

Wann ist eine Aufnahme für dich eine gute Aufnahme?

Ein Foto, das keine Fragen offenlässt.

Lieblings-

Buch: Retour à Reims (Didier Eribon)
Film: Mauvais Sang (Leos Carax), Vertigo (Alfred Hitchcock), Pandora and the Flying Dutchman (Albert Lewin), Casablanca (Michael Curtiz)
Song: The Man Who Sold the World (David Bowie), Paranoid Android (Radiohead), Happier Than Ever (Billie Eilish)
Schauspieler/in: Cary Grant, Juliette Binoche, Agnès Jaoui
Motto: »On voyage pour changer, non de lieu, mais d'idées« (Hippolyte Taine) (Deutsch: Man reist, um nicht den Ort, sondern die Ideen zu wechseln.)
Autor/in: Patrick Modiano, Stefan Zweig, Jules Barbey d'Aurevilly
Serie: Columbo, Tatort
Stadt: Paris
Land: Le Monde (die Welt)
Gericht: Oeufs mayonnaise
Getränk: Pastis

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Negativstes: Die Ergebnisse der Europawahl, insbesondere in Frankreich. Das ist wirklich eine Katastrophe.
Schönstes: Alle anderen Dinge.

Persönliches Mitbringsel

Le film argentique Tri-X 400 von Kodak, mein Lieblingsanalogfilm. Es ist ganz speziell, diesen Film mit chemischen Produkten zu entwickeln. Er hat seinen ganz eigenen Geruch. Es gab viele Analogfilme und jeder Fotokünstler hat schon alleine durch die Wahl des Films seien eigenen Stil. Die Herausforderung war, denselben Stil mit Daten in der Digitalfotografie zu finden. Ich spiele bspw. sehr gerne mit Kontrast und starkem Schwarz. Grautöne mag ich nicht wirklich. Der Film, den ich heute mitgenommen habe, ist übrigens seit 1989 nicht entwickelt worden. Mittlerweile wird man die Fotos nicht mehr entwickeln können, weil sie nicht so lange halten.
Le film argentique Tri-X 400 von Kodak

Berufswunsch als Kind

Bahnhofsvorsteher

Wen wolltest du immer schon mal treffen?

Menschen

Teenie-Schwarm

Meine Idole waren David Bowie, Nick Cave and the Bad Seeds

Getränk während des Interviews

Melange

Ort des Interviews

Beaulieu
Bistro, Café, Delikatessenladen – alles in einem und im Ergebnis mehr als die Summe seiner Teile. Gelegen in der Ferstel-Passage im 1. Bezirk, und damit in monumentalen Räumlichkeiten ... oder, wie das Beaulieu selbst sagt: Frankreich im Herzen von Wien. Empfehlung: französischer Käseteller, wahlweise mit Kaffee oder einem Glas Rotwein ... je nach Tageszeit.