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Der Wiener Alltagspoet bei einer Melange im Interview
 
       
       
Andreas Rainer

Wiener Alltagspoet

Kultur
31.05.2022
Andreas Rainer ist Wiener. Streng genommen: Wiener Alltagspoet. Obwohl er eigentlich nur Zitate von anderen Wienern veröffentlicht. Das aber im großen Stil. Über seine Social-Media-Kanäle mit dem Namen »Wiener Alltagspoeten« erreicht er regelmäßig mehrere tausend Userinnen und User, indem er prägnante Alltagsaussagen der Wienerinnen und Wiener veröffentlicht. Was als Social-Media-Projekt mit Kultpotenzial begonnen hat, ist mittlerweile zum digitalen Spiegelbild der Wiener Seele geworden. Und so hat Rainer auch zwei Bücher veröffentlicht: »Wiener Alltagspoeten« und »Der Wiener Alltagspoet fährt U6«.

Hast du heute schon ein Zitat gehört, das demnächst auf deinen Social-Media-Kanälen veröffentlicht wird?

Ja, allerdings wurde es eingesendet, und ich habe es nicht selbst gehört. Oder soll ich wirklich eines erwähnen, das ich selbst gehört habe?

Gerne beides.

Das eingeschickte ist wirklich großartig! Sinngemäß ging es so, dass der Sänger von »Bilderbuch« bei einem Konzert gemeint hat, dass die letzten beiden Jahre für die Band auch hart waren, weil sie ihr Album während der Pandemie irgendwo in Argentinien aufgenommen haben. Aus dem Publikum hat dann jemand geschrien: »Eh sche fia di, wir waren zwei Jahre im Gemeindebau eingesperrt!« (lacht)

Selbst hör ich leider nur noch sehr wenig. Ich freue mich dann immer, wenn ich wieder etwas posten kann, was ich selbst mitbekomme. Was mir erst unlängst passiert ist an der Neuen Donau: Ich bin dort spazieren gegangen und ein Radfahrer hat beim Vorbeifahren jemanden angeklingelt. Aber halt nicht einmal, sondern gefühlt 50-mal. Der Fußgänger meinte dann nur: »Heast, du Trottl, i hab’s eh g’hert!« Das war eine superlustige Situation, aber eben kein lustiges Zitat, das man gut veröffentlichen kann. Viele Einsendungen, die ich erhalte, sind solche Situationen, die zwar im Moment witzig sind, sich aber nur schwer verschriftlichen lassen und deswegen auch nicht veröffentlicht werden.
»Der demokratische Grundgedanke von Social Media ist stark beschädigt worden«

Bevor du mit »Wiener Alltagspoeten« begonnen hast, warst du beruflich im Social-Media-Bereich tätig. Es heißt immer wieder, dass man nicht planen kann, ob eine Kampagne viral geht oder nicht, oder ob ein Account viele oder wenige Follower bekommt. Wenn man von deinem beruflichen Hintergrund weiß, hat man allerdings das Gefühl, dass der Erfolg nicht ganz zufällig ist und du schon sehr genau weißt, was zu tun ist.

Ich muss dazu sagen, dass ich davor für ein Bewertungsportal in San Francisco gearbeitet habe. Das war und ist nach wie vor keine traditionelle Social-Media-Seite. Dort wurden Cafés und Restaurants bewertet, das ist also schon ein bissl was anderes. Dennoch: Social Media hat mich immer schon interessiert. Ich würde dir jetzt wirklich gerne ein Geheimnis verraten, es war allerdings wirklich ein Unfall mit den Wiener Alltagspoeten. Die Idee dazu hatte ich schon länger, aber so etwas erfolgreich zu planen ist eigentlich unmöglich. Beziehungsweise: Es ist möglich, aber dann brauchst du wahnsinnig viel Geld! Servus TV hat aktuell ungefähr 150.000 Follower. Ich mag Servus TV jetzt nicht schlechtreden, aber es ist ein eher kleinerer Fernsehsender, der ohne Geld niemals so viele Follower hätte. Wenn ich Geld reingesteckt hätte, hätte ich jetzt vielleicht eine Million Follower.

Hast du schon mal Geld auf deine Postings gesetzt?

Extrem geringe Summen. Ich habe 1-Euro-Boosts probiert. Das hatte den Grund, dass ich zu dem Zeitpunkt noch nie eine Social-Media-Ad geschalten hatte und mir das beibringen wollte. Ich habe dann gemerkt, dass das schon sehr gut funktioniert. Mit »Wiener Alltagspoeten« habe ich aber auch das Glück, dass die organische Performance so stark ist, dass sie die Entwicklung, die Facebook und Instagram genommen haben, ausgebremst hat. Mittlerweile kannst du auf diesen Plattformen nicht mehr groß werden, wenn du nicht dafür bezahlst. Die Algorithmen waren früher komplett anders. Mark Zuckerberg hatte vor einigen Jahren die Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen – macht er Facebook zur größten Kommunikationsplattform der Welt, auf der alle dieselben Rechte haben, oder schafft er sich ein Unternehmen, das Milliardengewinne macht. Er hat sich fürs Geld entschieden.

Was man ihm persönlich nicht verdenken kann, oder?

Es ist sein Ding, er kann damit machen, was er möchte. Der demokratische Grundgedanke von Social Media ist damit aber schon stark beschädigt worden. Früher konntest du eine Facebook-Seite großmachen, indem du einfach nur guten Content produziert hast. Heute ist das fast unmöglich.
»Dann mach ich jetzt halt die Scheißinstagramseite«

Deinen ersten Instagram-Post der »Wiener Alltagspoeten« hast du am 24. Oktober 2017 abgesetzt. Was ist dir von dem Tag noch in Erinnerung?

Es war mitten in der Nacht und es war saukalt. Da ich nicht schlafen konnte und die Idee schon länger hatte, dachte ich mir um 2 in der Nacht: »Dann mach ich jetzt halt die Scheißinstagramseite.« Gestartet ist das alles also sehr unglamourös. Wie es halt so ist, hatte ich dann rasch 50 Follower, weil mir meine Freunde gefolgt sind. Der Raum, in dem ich mich bewegt habe, war also echt winzig. Wenn ich von heute aus zurückblicke, weiß ich nicht mal, warum ich durch diese Anfangsphase überhaupt durchgetaucht bin. Ich bin wochen- und monatelang bei sehr wenigen Followern herumgegurkt. Von heut auf morgen ist da also nicht viel passiert.

Ab wann ist es dann nach oben gegangen?

Diesen einen Moment gab es nicht. Mit der Zeit haben Medienleute, Prominente und größere Accounts begonnen, meinen Account zu liken und Postings zu teilen. Damit wurde das Ganze dann immer wieder angeschoben, womit es stetig bergauf gegangen ist. Plötzlich 10.000 Follower mehr oder so gab es also nicht. Aufwärtsgegangen ist es aber immer, wenn auch in keiner schnellen Geschwindigkeit.

Mittlerweile hast du ungefähr 800 Beiträge gepostet und zählst knapp 170.000 Follower. Die meisten deiner Postings sind schlicht gehalten – schwarze Schrift auf weißem Hintergrund. Ab und an ist es weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund, beispielsweise nach dem Wien- Attentat. Ein Video ist unter all den Beiträgen zu finden. Welche Veröffentlichung ist dir am stärksten in Erinnerung?

Da gibt es einige, wenn auch nicht alle im Wortlaut. Das Wien-Attentat hat mich, wie alle Wiener, wahnsinnig erschüttert. Gleichzeitig habe ich dieses Gemeinschaftsgefühl, das danach für ein paar Tage vorhanden war, großartig gefunden. Ich habe damals mit sechs Postings probiert, die Stimmung einzufangen, und habe in der Zeit so viele positive Nachrichten bekommen wie noch nie zuvor! Ich habe davor zwar auch viele positive Nachrichten bekommen, was auch der Grund ist, warum ich das überhaupt mache. Aber zu der Zeit war’s extrem! Ich probiere mit meinem Auftritt, die ganze Stadt abzubilden, und Humor spielt dabei eine große Rolle. Dass ein Thema, das aber sowas von gar nicht humoristisch ist, auch funktioniert und für positive Rückmeldungen sorgt, hat mich dann schon gefreut.

Gibt es Beiträge, die du ganz bewusst zurückhältst?

Ja, sehr viele! Ich veröffentliche nur einen Bruchteil von dem, was eingeschickt wird. Der harmlose Grund ist: Ich finde es weder spektakulär noch lustig. Dann gibt es aber auch Sachen, die rassistisch sind.

In deinem Buch bezeichnet der Würschtler ein runtergefallenes Pommes als Flüchtling. Ist das durch den Wiener Schmäh lustig, durch den österreichischen Alltagsrassismus eh schon wieder okay oder ist es einfach nur rassistisch?

Ich bekomme immer wieder auch mal Kommentare, die sagen, dass es so nicht geht und ich Humor auf Kosten anderer mache. Humor geht eigentlich immer auf Kosten von jemand anderem, es sei denn, du machst dich über dich selbst lustig. Und wenn du dich über eine Situation lustig machst, sind an der auch Personen beteiligt. Also irgendwer wird eigentlich immer durch den Kakao gezogen, weil es sonst kein Humor ist. Aber es gibt auch eine Grenze, was Humor darf. Ich bin also kein Ultraliberaler, was das betrifft. Humor darf sicherlich nicht alles.

Wo ist für dich die Grenze?

Wahnsinnig schwierig. Eines kann ich dir aber sagen: Ich beleidige niemals jemanden persönlich! Es ist immer anonym, mit einer Ausnahme: Herbert Kickl wurde zweimal namentlich erwähnt. Der hat es sich aber auch verdient. Aber sowas von! Bei dem ist das schon okay. Es kommt aber auch vor, dass ich Sachen geschickt bekomme und unbekannte Personen beteiligt sind, die durch den Zusammenhang aber irgendwie identifiziert werden können. Das ist nicht die Art von Content, die ich veröffentlichen will. Dazu gehört auch, wenn Prominente beschimpft werden. Was ich schon mache, ist zu erwähnen, dass es einen Kellner von diesem oder jenem Café betrifft. Man kann sich dann vielleicht zusammenreimen, wer es vielleicht war, allerdings handelt es sich dabei nie um bösartige Sachen. Bis auf eine Person hat sich noch nie irgendjemand aufgeregt. Und bei diesem einen Mal hat es sich um den Chef eines Nobelheurigens aus dem 19. Bezirk gehandelt. Ich weiß gar nicht mehr die genaue Situation. Der Kellner dort dürfte einen Gast warten haben lassen. Der Chef hat mir auf Facebook jedenfalls eine extrem lange Nachricht geschrieben. Sinngemäß meinte er, dass ich das Posting zu entfernen habe, sonst wird er sich andere Schritte überlegen. Ich habe natürlich nichts offline genommen.

Was waren dann die anderen Schritte?

Keine Ahnung, die sind nie gekommen.

Wahrscheinlich ist er die Schritte einfach in den Keller gegangen.

Genau, der wird in den Keller gegangen sein. Es war auch das einzige Mal, dass sich jemand wirklich aufgeregt hat. Meist nehmen es die Leute einfach sportlich.
Im Interview: Wiener Alltagspoet Andreas Rainer

Viele Zitate bekommst du von deiner Community zugeschickt. Wie oft hast du dich schon gefragt, ob diese Zitate und Wortwechsel wirklich so stattgefunden haben?

Ehrlich gesagt frage ich mich das nicht sehr oft. Die zugeschickten Aussagen, die ich veröffentliche, sind für mich so Wienerisch und echt, dass ich einfach weiß, dass sie so passiert sind. Ich gehe davon aus, dass 99 % tatsächlich so vorgekommen sind. Und wenn es wirklich mal jemand schafft, mich zu überlisten, ist das auch okay. Meine Seite heißt schließlich »Wiener Alltagspoeten« und nicht »Wiener Alltagsjournalisten«. Ich habe also keinen Wahrheitsanspruch. Der Vorwurf, dass ich irgendetwas erfinde, kommt ständig. Ich finde das dann immer interessant. Die Leute leben in Wien und glauben das dann nicht. Da frage ich mich schon, ob die auf die Straße, zum Supermarkt oder ins Kaffeehaus gehen. Das, was ich poste, passiert da draußen wirklich alles!

Statt »Wiener Alltagspoeten« hätte dein Projekt fast »Stadtgeflüster« geheißen. Willst du zu dem Entscheidungsprozess ein paar Worte verlieren?

Ein großartiger Entscheidungsprozess war es nicht. Ich dachte, mit der Seite drei Wochen online zu sein und sie dann wieder zu löschen. Ich habe also nicht jahrelang überlegt.

Du meintest an anderer Stelle, dass es dich schon genervt hätte, wenn es unter dem falschen Namen groß geworden wäre.

Wenn ich das damals so gesagt habe, kann ich jetzt bestätigen, dass ich das heute immer noch so sehe. Ich bin mit dem Namen superhappy, auch wenn ich »Stadtgeflüster« nach wie vor für einen guten Namen halte. Ich freue mich aber sehr darüber, dass ich mich noch keinen Tag über »Wiener Alltagspoeten« geärgert habe.

»Stadtgeflüster« könnte auch in Berlin sein. Aber gerade die Poeten zeigen den Unterschied zu anderen Städten. Christoph Waltz wurde in einem Interview einmal zum Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern befragt. Er meinte, die Österreicher seien melodischer. Das Poetische ist auch melodisch.

Den Aspekt habe ich noch gar nicht bedacht, obwohl er komplett richtig ist. Wien ist eine extrem poetische Stadt, auch wenn es oftmals eine depressive oder melancholische Poesie ist.

Zur Poesie gehört oftmals die Romantik. In deinem Buch »Der Wiener Alltagspoet fährt U6« hat man das Gefühl, du romantisierst die U6 sehr stark. Wenn man sich im Alltag mit Menschen über die U6 unterhält, ist meist breite Ablehnung gegen diese U-Bahn-Linie vorhanden. Kannst du dir erklären, warum das so ist? Siehst du die U6 anders als viele andere Menschen?

Es ist genau so, wie du sagst. Im Buch wird die U6 durch einen Weichzeichner dargestellt. Eine bewusste Entscheidung war das allerdings nicht. Erst als ich mit dem Buch fertig war und es selbst gelesen habe, dachte ich mir, dass ich die U6 eigentlich sehr positiv beschrieben habe. Darin steckt ein tieferliegender Gedanke, den ich über Wien habe. Das, was ich an der Stadt am meisten hasse – neben dem Alltagsrassismus –, ist die unglaubliche Verschlossenheit. Alles, was fremd, laut und anders ist, wollen wir nicht.

Weil’s oasch ist.

Genau! Keiner redet mit jemanden, den er nicht kennt. Ich finde das so komisch! In der U6 fahren nun mal mehr Ausländer, als wenn du beim Stephansplatz einsteigst. Und ja, es ist auch lauter, weil das Publikum viel jünger ist. Aber eigentlich ist das ja nichts Schlechtes! Und natürlich hatte ich auch schon schlechte Fahrten mit der U6. Wenn ich da drinnen bin und es stinkt wieder mal, finde ich das auch nicht lustig. Aber es muss ja nicht immer alles ruhig sein, sobald um 22 Uhr Sperrstunde ist. Wien ist eine Großstadt. Gleichzeitig sind wir manchmal so wahnsinnig kleinbürgerlich.

Ist aber nicht genau das auch das Schöne? Obwohl Wien eine Millionenstadt ist, ist es vom Gefühl her ein Dorf geblieben.

Voll! Es hat Vor- und Nachteile, und genau das finde ich wahnsinnig schön. 
Bei einer Melange im Gespräch mit dem Wiener Alltagspoeten

Wird es ein weiteres Buch geben, oder sogar eine TV-Sendung, mit dem Titel »Der Wiener Alltagspoet fährt ...«? Treten die Wiener Linien vielleicht als Sponsor auf?

(lacht) Keine Ahnung, ob es ein weiteres Buch geben wird. Wahrscheinlich schon, auch wenn ich nicht weiß, was genau. Was es sicherlich nicht geben wird, ist: »Der Wiener Alltagspoet fährt ...«. Ich bin schon mehrfach gefragt worden, wann der Wiener Alltagspoet mit der U3 oder dem D-Wagen fährt. 

Kann ja auch den Titel »Der Wiener Alltagspoet säuft im Chelsea« haben.

Das wäre eine Möglichkeit! Ehrlich gesagt weiß ich es aber noch nicht. Schauen wir mal. 

Wie oft hast du selbst schon etwas gesagt, von dem du dir im Nachhinein dachtest: »Das ist eigentlich ein typisches Zitat für eine Veröffentlichung!«?

(lacht) Weißt du, was ein Phänomen ist? Jedesmal wenn die Leute etwas einschicken, wo sie sich selbst zitieren, ist es furchtbar! JEDES Mal! Es ist wirklich faszinierend. Keine Ahnung, warum das so ist. Vielleicht findet man sich selbst lustiger, als man ist. 

Nachbetrachtet wirst du doch einzelne Zitate von dir schon ganz witzig gefunden haben.

Vielleicht, trotzdem würde ich mich selbst niemals veröffentlichen. Dass ich mich selbst so lustig gefunden habe, dass ich mir dachte, ich müsste mich nun selbst veröffentlichen, ist mir leider noch nie passiert. Auch wenn es naheliegend wäre.

Gibt es international ähnliche Projekte wie deines, von denen du dir etwas abschauen kannst?

Ehrlich gesagt weiß ich das nicht und kenne kein ähnliches. Mir wurde gesagt, dass es in Berlin einen gibt, der Fotos von irgendwelchen Sprüchen veröffentlicht, die er auf Wänden sieht. Das gibt es in Wien übrigens auch – »Wisdoms of Vienna« heißt das und ist echt nett gemacht. Wirklich ähnlich zu meinem ist das allerdings nicht. Ansonsten gibt es hunderttausende Meme-Seiten, die irgendwelche Sprüche veröffentlichen. Erfunden habe ich das Format also nicht. Lustige Sprüche haben Leute vor mir auch schon gepostet.
»Ich sitze immer wieder zwischendurch wie ein Trottl am Handy«

Wie viel Zeit nimmt die Arbeit als Wiener Alltagspoet täglich oder wöchentlich in Anspruch?

Schwer zu sagen und abzuschätzen. Es ist ja nicht so, dass ich mich ein oder zwei Stunden am Stück hinsetze und das mache. Ich sitze eigentlich immer wieder zwischendurch wie ein Trottl am Handy, schau nach und antworte Leuten auf ihre Nachrichten. 

Du antwortest deinen Fans also.

Ja, jedem!

Wie viele Nachrichten bekommst du so im Durchschnitt?

In der Woche werden es schon an die 50 Nachrichten sein.

Entsteht dann manchmal ein Dialog?

Ja, absolut. Wenn es mich freut und interessiert, kann das auch länger dauern. Meine Regel ist, dass ich zumindest einmal antworte. Wenn es mich dann nicht mehr freut und jemand will unbedingt diskutieren, dann lasse ich es. 

Werden einzelne User dann auch von dir blockiert?

Blockiert habe ich noch nie jemanden. Mein Vorteil ist, glaube ich, dass ich ein Mann bin. Wirklich deppate Nachrichten bekomme ich keine.

Du bekommst also keine Penisfotos geschickt.

Keine Penisfotos, richtig. Als Frau ist es auf Social Media sicherlich schwieriger.

Harald Schmidt meinte in seiner Show einmal, dass bei ihm in der Sendung niemand sexuell belästigt wird – mit dem Nachsatz: »Leider.«

(lacht) So ist es bei mir auch. Ich meine, natürlich gibt es Damen, die mir mal nette Nachrichten schreiben. Frauen sind bei sowas aber nicht so grauslich wie Männer. Ich freue mich dann einfach darüber, weil sie mir sehr nett schreiben. Männer sind bei solchen Sachen wirklich furchtbar! Wir sind ja richtige Neandertaler, und das schon im echten Leben! In Social Media sind wir dann noch drei Klassen tiefer. 
»In Wien glauben wir, das Zentrum der Welt zu sein«

Wie würdest du die Wiener Seele beschreiben?

Mit Zerrissenheit. Wien ist in allem zerrissen. Einerseits glauben wir, das Zentrum der Welt zu sein – vor allem kulturell. Andererseits haben wir einen unfassbaren Minderwertigkeitskomplex. Vor allem den Deutschen gegenüber. Das widerspricht sich komplett.

Der Minderwertigkeitskomplex betrifft eher Österreich im Gesamten. Für Wien gilt nach wie vor der Satz, den Falco in den 80ern prägte – nämlich dass wir in Wien die Arroganz gepachtet hätten!

Es ist vollkommen richtig, was du sagst. Und gleichzeitig ist auch das, was ich sage, vollkommen richtig. Ja, wir sind unfassbar arrogant. Schlimmer sind wahrscheinlich nur die Franzosen. Gleichzeitig finde ich uns aber auch unfassbar unsicher. Hör einem Wiener mal beim Reden zu! Wenn die einen Vortrag halten oder im Fernsehen befragt werden, bekommen die ja keine drei geraden Worte raus.

Da fallen mir jetzt nur Regionalpolitiker ein, die stotternd Reden halten und dabei meinen, dass andere die deutsche Sprache lernen müssten. 

Es gibt Genies, wie Falco, bei denen jedes Interview ein Meisterwerk ist, keine Frage. Wenn du dir aber den Durchschnitt ansiehst ... du brauchst dir ja nur »Wien heute« ansehen, wenn Passanten interviewt werden. Das kannst du in Wirklichkeit nicht ausstrahlen.

Das ist in Köln mit Passanten aber nicht anders.

Finde ich nicht. In Deutschland ist das deutlich besser und in Amerika sind sie uns sowieso Lichtjahre überlegen. Das is meine Meinung dazu.

Mir gefällt ein Satz von Gustav Mahler, bezogen auf Wien, sehr gut. Er meinte: »Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre später.«

Das ist auch eines meiner Lieblingszitate.

Ist das immer noch so?

Auf jeden Fall! Wir sind so weit hinten. Ich denke mir das immer wieder. Das Tempo bei uns ist schon sehr langsam.

Diese Gemütlichkeit beschreibst du in deinem Buch auch sehr schön. Du meintest – und ich musste an der Stelle wirklich lachen –, dass die Zeit, die der Wiener im Kaffeehaus, beim Zeitungslesen oder Kartenspielen verplempert, später in den Öffis oder an der Kasse wieder aufgeholt werden muss. Wenn es dort zu lange dauert, regt sich der Wiener massiv auf.

Womit wir wieder bei der Zerrissenheit wären. Es sind diese völligen Widersprüche, die ich im Buch auch genau so meine.

Du hast es bei der Stelle im Buch auf den Punkt gebracht!

Bei dieser Stelle lachen die Leute, die zu meinen Lesungen kommen, auch am meisten. Vielleicht poste ich sie und zitiere mich damit doch einmal selbst.
»Transdanubien ist ganz extrem, dort fährt ja wirklich niemand hin«

Was sind die größten Widersprüche bei dir? Wo bist du am zerrissensten?

Ich bin in allem ein zerrissener Mensch, ganz generell. Am stärksten ist es vielleicht an meiner Wohnortwahl zu sehen. Ich habe dreieinhalb Jahre in Nordamerika gelebt und es hat mir irrsinnig gut gefallen dort. Vor allem haben mir die Sachen, die dort anders sind als hier, sehr gefallen. Gleichzeitig weiß ich, dass ich Wien damals schon auch sehr vermisst habe. Und jetzt, in Wien, vermisse ich Nordamerika sehr. Der Wiener sudert die ganze Zeit über seine eigene Stadt. Sobald er aber mit der Westbahn rausfährt, bekommt er spätestens bei St. Pölten Heimweh.

Der Wiener muss nicht mal rausfahren, es reicht schon das andere Grätzl. Sei es außerhalb des Rings, über den Gürtel oder nach Transdanubien.

Transdanubien ist ganz extrem. Dort fährt ja wirklich niemand hin! Auch für mich ist das ein totales Niemandsland. Ich bin oft an der Donau, aber weiter fahre ich nicht. Der Wiener denkt total in diesen Grätzln. Ich merke auch bei meinen Postings, dass die Leute einen extremen Bezirkspatriotismus haben. 

Hernois is ois.

Hernois is ois, genau. Ich finde das ein bissl schade. Man könnte ruhig ein bissl mehr hinaus gehen. Alles, was anders und neu ist, damit tut sich der Wiener schwer.

Lieblings-

Buch: Die unendliche Geschichte (Michael Ende) 
Film: Raus aus Åmål
Song: Tonight, Tonight (The Smashing Pumpkins) 
Schauspieler/in: Christoph Waltz
Motto: Das Glas ist halbleer. 
Autor/in: F. Scott Fitzgerald 
Serie: Breaking Bad
Stadt: New Orleans
Land: Kanada
Gericht: Thailändisches Curry
Getränk: Melange

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Schönstes: Als ich in Griechenland am Meer angekommen und reingehüpft bin.
Negativstes: Als ich in Griechenland wieder in den Flieger eingestiegen und heimgeflogen bin.

Persönliches Mitbringsel

Ich habe mein Buch mitgenommen. Auch wenn es etwas fad klingen mag, aber etwas anderes ist mir nicht eingefallen. Es ist etwas extrem Persönliches, weil es das erste Mal um mich geht und nicht um die Zitate der »Wiener Alltagspoeten«. Es sind meine Texte, die mir sehr am Herzen liegen.
Buch vom Wiener Alltagspoeten

Berufswunsch als Kind

Schriftsteller

Wen wolltest du immer schon mal treffen?

Billy Corgan von The Smashing Pumpkins

Teenie-Schwarm

Nicole Kidman und Katie Holmes

Getränk während des Interviews

Wiener Melange

Ort des Interviews

Café Schopenhauer
Das Schopenhauer ist Café und Buchhandlung in einem. Damit erinnert es ein wenig an das Café phil in der Gumpendorfer Straße, und doch ist es anders. Der Buchanteil im Schopenhauer ist kleiner, der klassische Kaffeehausflair größer. Es liegt in der Staudgasse 1 im 18. Bezirk, wo es deutlich ruhiger als in der Gumpendorfer Straße ist. Neben selbstgemachten Limonaden und Kuchen gibt es warme Speisen und eine riesige Frühstücksauswahl. Benannt ist das Café übrigens nach dem deutschen Philosophen, Autor und Hochschullehrer Arthur Schopenhauer.