Caroline Frauendorfer
Apothekerin
Leben
09.12.2024
09.12.2024
Apotheken werden von den meisten Menschen in der Regel nur aufgesucht, wenn es ihnen selbst oder nahestehenden Personen gerade schlecht geht. Kurzum: Durch Krankheiten sind Sie in Ihrem Job regelmäßig mit Negativität konfrontiert.
Nein, überhaupt nicht. Speziell in Hietzing haben wir zu 90 Prozent Stammkunden, die mit einem Rezept einfach ihre Medikamente abholen, wodurch es ihnen relativ gut geht. Viele kommen aber auch wegen Kosmetikprodukten oder zur Beratung, weil sie wissen möchten, wie sie ihre Gesundheit erhalten können. Es geht dann eher um Gesundheitspsychologie, also um die Thematik der Prävention. Gerade in Hietzing gehen viele Menschen in die Apotheke, weil es ihnen wichtig ist, gesund zu bleiben, und nicht weil sie gerade krank wären. Dieses Bewusstsein hat unter anderem soziale Hintergründe – wie höheres Einkommen und den Bildungsgrad.
Das heißt, Gesundheit hat mit finanziellen Mitteln und Bildung zu tun?
Zu einem sehr hohen Prozentsatz ist das so, leider. Es gibt viele Studien dazu. Die Ernährung spielt da auch hinein. Gesundheitsschädliches Verhalten ist eher in Bevölkerungsschichten zu beobachten, die geringeres Einkommen und einen niedrigen Bildungsgrad haben.
Wie könnte man das ändern und wo müsste man beginnen?
Es beginnt mit der Politik, wo gezielt etwas geändert werden müsste. Ein Beispiel: Im November gab es eine Kampagne rund um die »Wiener Herzwochen«, die allerdings nicht wirklich gut gelaufen ist. Wir waren gerüstet, die Türen sind uns aber nicht eingerannt worden. Gleiches gilt für den »Movember«, bei dem es um die Vorsorgeuntersuchung von Männern geht. Die Bereitschaft dafür ist verschwindend gering. Ich habe erst mit einem Arzt gesprochen, der meinte, dass sich durch solche kommunikativen Aktivitäten nicht wirklich etwas ändert.
Kann es sein, dass die Menschen seit der Pandemie ein bisschen müde sind, andauernd über groß angelegte Kampagnen darauf hingewiesen zu werden, sich untersuchen zu lassen?
Kann schon sein, dass ein Verdruss da ist. Wirklich anders war es vor der Pandemie allerdings auch nicht. Wenn wir uns nun wieder die Bezirksunterschiede ansehen, kann ich sagen, dass die Leute in Hietzing empfänglicher sind und mehr gesundheitliches Bewusstsein besteht. Die wollen keine Influenza bekommen. Die nehmen Nahrungsergänzungsmittel, um eher gesund zu bleiben. Wahrscheinlich können sie es sich auch leichter leisten als jemand im 10. Bezirk. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: In der Politik könnte man viel ändern, wenn man in den Schulen beginnt, manches zu thematisieren, wie zum Beispiel die richtige Ernährung, die natürlich schon bei den Eltern beginnt. Beim Alkohol oder Rauchen müsste bei der Jugend angesetzt werden, um das Image dahingehend zu ändern, dass es eben nicht cool ist, wenn jemand raucht. Man könnte viel mehr machen, aber es ist eben eine politische Frage, wo man in welcher Form ansetzen möchte.
Wie ist es als Apothekerin eigentlich in der kalten Jahreszeit, wenn die Krankenstände rasant ansteigen und Sie andauernd mit Grippe, Covid, Keuchhusten, Lungenentzündung, Bronchitis, Rhinitis und so weiter zu tun haben? Ihr Team muss durch den Patientenkontakt regelmäßig verkühlt sein und ausfallen.
Da haben wir durch Corona extrem dazugelernt. Bei den Verkaufstischen gibt es nach wie vor Plexiglasscheiben. Das macht schon einen riesigen Unterschied, auch wenn es die Möglichkeit für intime Gespräche ein wenig nimmt. Dieses Jahr wurde bei uns noch niemand krank. Mit der Zeit passiert es dann schon, dass jemand verkühlt ist oder sich krank fühlt. In diesen Fällen habe ich meinen Mitarbeiterinnen gesagt, dass es besser ist, zu Hause zu bleiben. Es zahlt sich einfach nicht aus, sich im Team gegenseitig anzustecken. Vollkommen egal, um welches Virus es sich handelt. Natürlich kann man auch die Grippe-Covid-Tests machen, bevor man vulnerable Menschen trifft. Aber im Grunde kann es auch das Rhinovirus sein, mit dem man jemanden ansteckt, was nicht notwendig ist und auch niemand will.
Tragen Sie nach wie vor Maske?
Im Verkaufsgespräch nicht, aber wir lüften regelmäßig. Bei der Arbeit im Labor schon, da es dazu eine Verordnung gibt.
Währen der Pandemie hat mir jemand aus dem Gesundheitsbereich in einem persönlichen Gespräch gesagt, dass die Plexiglasscheibe bei Covid genauso viel hilft, wie wenn man nach einem Verkehrsunfall Globuli verabreicht.
Das stimmt überhaupt nicht! Es sei denn, dass man ohne Handvorhalten einfach mal extrem in den Raum niest. Aber wer macht das schon in einer Apotheke?
Welche Situationen sind Ihnen eigentlich über die Jahre im Gedächtnis geblieben? Sie sind tagtäglich mit unterschiedlichsten Menschen in Kontakt, was sehr spannend sein muss.
Wir bekommen viele Lebensgeschichten mit. Gerade gestern erst haben wir ein Rezept bekommen, was ich in der Form noch nie erhalten habe. Ich habe ein Foto davon und kann es Ihnen zeigen, da der Name geschwärzt ist. Lesen Sie ruhig, was auf dem Rezept draufsteht.
»An Ex-Gattin keine Auskunft geben!« Das hat der Arzt aufs Medikament geschrieben?
(lacht) Ja! So etwas hatte ich noch nie, das ist ganz frisch von gestern. Er wollte anscheinend sichergehen, dass sie keine Auskunft bekommt, sollte sie zu uns kommen.
Aber es steht jetzt nichts bzgl. Medikamenten gegen Geschlechtskrankheiten wie Syphilis oder so drauf.
Nein, gar nicht. Es ging um Magenschutz, Cholesterinsenker und Nierenprobleme. Nix Tragisches. Aber irgendwie fand ich den Hinweis vom Arzt am Rezept ganz lustig.
Fangen Sie dann an, laut zu lachen?
Vor den Kunden nicht, nein.
Aber es muss doch schwer sein, sich bei sowas zusammenzureißen.
Das schaffen wir schon. Das Lachen kommt erst nachher im Backoffice. Nicht über unsere Kunden, aber über die Situationen. Vor ein paar Jahren kam eine ältere Dame, eine Stammkundin, zu uns. Sie meinte, dass ihre Haut entzündet ist, und hat gefragt, ob sie uns die Stelle zeigen kann. Wir haben zugestimmt. So schnell konnten wir gar nicht schauen, hat sie sich umgedreht und ihren Rock, die Strumpf- sowie Unterhose ausgezogen und ist mit ihrem blanken Allerwertesten in der Apotheke gestanden. (lacht) Das war schon ein wenig überraschend, aber irgendwie auch ein Vertrauensbeweis. Natürlich lache ich dann nicht, sondern versuche, seriös zu bleiben. Ich habe ihr dann eine Salbe empfohlen. Es kommt oft vor, dass man uns Dinge zeigt, die man eigentlich nicht sehen möchte.
Das glaube ich. Gleichzeitig ist man als Patient auch irgendwie ausgeliefert, weil man mit etwas konfrontiert ist, das man nur in der Ordination oder der Apotheke zeigen kann. Wo, wenn nicht dort?
Stimmt schon. Manche sagen auch, dass wir halbe Ärzte sind. Es ist schon okay und macht unseren Job auch interessant. Wir bewegen uns damit halt in einer Grauzone, weil wir in solchen Fällen entscheiden müssen, ob wir wirklich helfen können oder ob die Person eigentlich zum Arzt gehört. Wenn ich falsch entscheide, kann es blöde Folgen haben.
»Es kommt oft vor, dass man uns Dinge zeigt, die man eigentlich nicht sehen möchte«
Sie haben soeben gesagt, dass Sie manchmal als halbe Ärztin gesehen werden. Als Beobachter hat man manchmal das Gefühl, dass Ärzte und Apotheker sich gerne mal die Pfründe streitig machen und es mehr um Macht als um die gesellschaftlich beste Lösung geht. Beispiel Pandemie: Wer darf testen, wer darf impfen.
Dieser Widerstand besteht eher von der Ärzte- als von der Apothekerkammer. Die ist viel kleiner und sucht die Zusammenarbeit. Impfen ist ein gutes Beispiel. Viele von uns Apothekerinnen haben die Ausbildung, um impfen zu können. Es gibt daher keinen wirklichen Grund, warum wir es nicht tun sollten.
Geld.
Das hätte ich nun nicht als Argument gesehen.
Ein relevanter Faktor, oder?
Schauen Sie, ich weiß es nicht. Prinzipiell gibt es keinen Grund, warum wir es nicht machen sollten. Privat kenne ich einige Ärzte, die es durchaus befürworten, dass wir auch impfen dürfen. In Frankreich funktioniert dieses Modell seit Jahren einwandfrei. Dort ist die Impfrate deutlich höher als bei uns. Wir in Österreich sind ausgebildet und warten eigentlich nur auf den Startschuss. Eine Bekannte von mir, ebenfalls Pharmazeutin, ist trotzdem zu einem Arzt gegangen, um sich gegen die Grippe impfen zu lassen, weil es die Gratisaktion gibt. Was ist passiert? Erstens war es nur ein Student oder junger Pfleger, der sie geimpft hat, aber mit Sicherheit kein Arzt. Zweitens hat er sie nicht wirklich aufgeklärt. Drittens wird empfohlen, dass man nach einer Impfung wegen möglicher Reaktionen eine Viertelstunde vor Ort bleibt, was auch nicht der Fall war. Und viertens: Sie hat einen Impfstoff erhalten, den man erst ab 60 verabreicht bekommen sollte, sie ist aber erst 25. Also ganz ehrlich: Auch wenn das Beispiel vielleicht nur ein unglücklicher Einzelfall war, so muss ich sagen, dass wir in den Apotheken das mindestens genauso gut können. Daher kann ich nur nochmals sagen: Wir sind bereit und warten nur darauf, dass wir endlich auch ran dürfen. In der Pandemie war es ja nicht anders. Viele Kunden sind zu uns gekommen, weil ihre Ärzte die Ordination in der Anfangsphase von Covid zugesperrt haben.
Bisschen traurig, oder?
Schon, ja.
Das wäre so, als ob ein Polizist bei steigender Kriminalität und Schießereien sagt, dass er vorerst sicherheitshalber mal keinen Dienst macht.
Genau. Es gab Kunden, die uns jeden Tag angerufen haben und zu uns gekommen sind, weil sie einsam waren. Das war okay für uns. Zur kritischen Zeit war auch bei uns in der Apotheke nicht viel los. Wir haben dann einfach Telefondienst gemacht.
Sie betreiben Ihre eigene Apotheke. Damit sind Sie nicht nur Pharmazeutin, sondern auch Unternehmerin. Ganz ehrlich: Wie schwer fällt die Trennung? Im verschreibungspflichtigen Bereich müssen Sie das verkaufen, was die Ärzteschaft vorgibt. Aber bei rezeptfreien Präparaten sind Sie die Beraterin. Da kann es durchaus schon mal zu Interessenkonflikten kommen: bestmögliches Produkt vs. höchstmöglicher Umsatz.
Vor 20 Jahren haben mein Bruder, mein Vater und ich eine Apotheke im 10. Bezirk aufgemacht. Die beiden haben immer auf die Zahlen geschaut, weil sie Betriebswirte sind, und meinten, dass ich in dem Bereich eine Ausbildung machen soll. Dagegen habe ich mich immer gewehrt, weil es das einfach nicht sein kann! Wenn ich einen guten Service anbiete, merken die Menschen, dass es mir um sie als Person geht. Damit kommt das Vertrauen, sie lassen sich beraten und kommen wieder. Ich bin seit 25 Jahren als selbständige Apothekerin tätig, und es hat sich gezeigt, dass das Konzept aufgegangen ist. Natürlich muss ich gut wirtschaften, keine Frage. Im Lager dürfen meine Waren nicht zu lange liegen und ablaufen. Man muss also schon schauen, was sich gut verkauft und wovon man mehr bestellen kann, um Staffelrabatte zu bekommen. Aber ich habe nie Hustensaft in großen Mengen gekauft und meine Mitarbeiterinnen dazu angehalten, dass wir den jetzt möglichst oft verkaufen. Wenn jemand mit Husten kommt, frage ich erst mal, ob schon ein Mittel zu Hause ist, und wenn ja, welches. Dann kann man empfehlen, das erst einmal aufzubrauchen. Ich kann nun nicht für andere Apotheker sprechen, glaube allerdings, dass es nicht partout notwendig ist, jemandem zusätzlich etwas zu verkaufen, um wirtschaftlich zu arbeiten.
Inwiefern unterscheiden sich Tag- und Nachtdienste in Bezug auf die Anfragen, mit denen Sie konfrontiert sind?
Das ist durchaus bezirksabhängig. In Hietzing kommen die Kunden eigentlich nur in Notfällen, weil sie zum Beispiel gerade im St. Josef Krankenhaus waren oder direkt vom Notarzt in der Ambulanz geschickt werden. Meist geht es dann eher darum, etwas abzuholen und nicht umfassend beraten zu werden. In vielen Bezirken kommen Kunden erst nach 20 Uhr, wenn sie bis 18 Uhr keine Zeit hatten, um ihre Medikamente zu kaufen. Auch in den Fällen wird eher selten beraten, sondern meist einfach durch die Klappe übergeben.
Teurer, zu einem höheren Preis.
Nein, nicht unbedingt. Wenn sie mit einem Rezept kommen, das am selben Tag ausgestellt wurde, zahlen sie nicht mal eine Nachtdienstgebühr, die ansonsten ab 20 Uhr gilt. Ohne aktuelles Rezept ist danach eine Pauschale zu entrichten.
Wie oft kommt es als Frau alleine in der Nacht zu komischen Situationen?
Auch das ist wieder bezirksabhängig. Im 13. Bezirk wird man in der Regel nicht blöd angesprochen. Über die Jahre merkt man sehr schnell, ob das ein komisches Gespräch wird. Wenn dem so ist, dann wickle ich das schneller ab und die Klappe ist auch schon wieder zu.
Sie sitzen direkt an der Quelle. Greift man im Fall schneller mal zu Medikamenten?
Ich bin schon so lange Apothekerin, dass ich es nicht anders kenne. Wenn Symptome da sind, dann versuche ich, sie zu behandeln. Und wenn ich verreise, nehme ich sicher deutlich mehr mit in meiner Reiseapotheke als Leute, die keine Apotheker sind. Meistens bleibt es zum Glück in der Lade und läuft dann ab. Wo ich ein ziemlicher Junkie bin: bei Nahrungsergänzungsmitteln und Naturprodukten. Wenn ich etwas spüre oder auch ein Bekannter bei mir zu Gast war, der sich nicht ganz wohlgefühlt hat, nehme ich präventiv gleich mal Sternanis und Vitamin C.
Kennen Sie Apothekerinnen und Ärzte, die durch den leichten Zugang abhängig von etwas geworden sind?
Kann ich mir vorstellen.
Wissen Sie es vielleicht auch?
Sagen wir so: Für den einen oder anderen mag der leichte Zugang verlockend sein. Für mich kann ich sagen, dass ich noch nie in meinem Leben einfach mal so, ohne Verschreibung, rezeptpflichtige Medikamente genommen habe, die beispielsweise beruhigend oder schlaffördernd wirken, weil ich viel zu großen Respekt davor habe. Ich mag es nicht, dieses Gefühl von Kontrollverlust.
»Gesundheit bedeutet mehr als nur das Ausbleiben von Krankheit«
Um von allgemeinen sowie kritischeren Fragen zu etwas Positivem zu kommen: Ihre »Biotheke« hat letztes Jahr den »Best Practice Award« als klimafreundliche Gesundheitseinrichtung erhalten. Überreicht wurde er von Gesundheitsminister Johannes Rauch höchstpersönlich. Was darf man sich darunter vorstellen?
Begonnen hat es damit, dass ich wissen wollte, ob man als Apotheke klimafreundlich arbeiten kann.
Was sind die klimaschädlichen Aspekte einer Apotheke?
Alles. Medikamente sind Chemie und viele davon werden in China produziert. Es gibt total viel Verpackungsmaterial – Blister, Plastik, Papier. Wir haben einen hohen Energieverbrauch durch die Beleuchtung und unsere Server. Durch unsere Bestellungen und Lieferungen entsteht CO2. Es ist total viel fremdbestimmt. Ich dachte ursprünglich nicht, dass eine Apotheke ein Ort für klimafreundliches Arbeiten sein kann, eben weil man nicht viel verändern kann. Dachte ich! Wir haben dann eine Umweltberaterin von »OekoBusiness Wien« geholt. Über ein Jahr sind wir alle Arbeitsschritte akribisch durchgegangen, um zu schauen, wo wir was verbessern können. Beispielsweise haben wir unseren Müll abgewogen. Klimaschutz bedeutet, nicht nur auf den Ressourcenverbrauch zu achten, sondern auch wirtschaftlich zu arbeiten. Auch Kommunikation und Bewusstseinsschaffung sind wichtig, und in der Apotheke sind wir an vorderster Front, um genau das zu leisten. Aber was uns den Award wahrscheinlich tatsächlich eingebracht hat: Wir haben uns mit hitzebedingten Erkrankungen auseinandergesetzt, die im Zuge des Klimawandels mehr werden. Es gibt Medikamente, die Einfluss auf unsere Thermoregulation haben. Manche Arzneimittel führen nach der Einnahme dazu, dass man weniger schwitzt oder man die Hitze weniger spürt. Das zu wissen ist nicht nur für ältere Leute wichtig. Wenn man bei 35 Grad durch eine geringere Hitzeempfindlichkeit keinen Durst hat, ist es wichtig, auf die notwendige Flüssigkeitszunahme hinzuweisen. Wir haben diese Informationen in unsere Software gespeist und können Kunden im Sommer direkt zur Dosierung und Einnahme beraten, weil die Info bei einer Liste an Medikamenten aufpoppt, sobald wir ein Rezept dazu erhalten.
Welche Änderungen wurden direkt bei Ihnen in der Apotheke umgestellt, um klimafreundlicher zu sein? Sie haben Medikamente aus China angesprochen. Die langen Lieferwege werden sie nicht abstellen können.
Beim Ausstellen von Rechnungen und elektronischen Rezepten sind wir auf Ökobons umgestiegen. Mit manchen Kunden war das eine riesige Diskussion, weil sie wissen wollten, warum die jetzt blau und nicht mehr weiß sind. Wir haben dann erklärt, dass es darum geht, nicht ständig mit dem beschichteten Papier in Kontakt zu sein. Außerdem kann man die Bons nun ins Altpapier werfen, was davor nicht der Fall war. Und so sind wir dann bei den Themen Kommunikation und Aufmerksamkeit. Was wir seit unserer Analyse auch machen: Wir quälen unsere Lieferanten, weil wir mehr Infos zu Lieferketten haben wollen und auch nachfragen, wann die Ware endlich mit Elektroautos geliefert wird und wie es um das Verpackungsmaterial beschaffen ist. Mit unserer »Biotheke« haben wir die Möglichkeit, auf kleine regionale Produzenten mit Demeter-Bio-Qualität zu setzen. Die schauen auf gutes Arbeitsklima und eine faire Entlohnung. Bei Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetika können wir entscheiden, was ins Regal kommt. Bei anderen Medikamenten noch nicht.
Sie sprechen die öffentliche Debatte rund um die Wirkstoffverschreibung an, die nach neuerlichen politischen Diskussionen letztes Jahr nicht gekommen ist.
Diskutiert wird sie immer wieder, irgendwann wird sie auch kommen. Aktuell muss ich das Produkt verkaufen, welches am Rezept steht. Wenn der Arzt allerdings rein den Wirkstoff verschreiben würde, könnte ich entscheiden, welches Medikament der Patient bekommt. Als Pharmazeuten hätten wir so die Möglichkeit, Druck auf Firmen aufzubauen, die bei der Lieferung, Verpackung und so weiter nicht auf Nachhaltigkeit achten. Die müsste ich dann nicht mehr beauftragen. Wenn es fünf unterschiedliche Generika mit demselben Wirkstoff gibt, wähle ich die aus, die eine nachhaltige Firmenphilosophie haben.
Die vorhin angesprochenen Naturheilstoffe haben in der Regel weniger Nebenwirkungen als verschreibungspflichtige Medikamente. Eine Faustregel unter Medizinern lautet: Je höher die Wirkung, desto höher die Nebenwirkungen, je geringer die Wirkung, desto geringer die Nebenwirkungen. Übersetzt heißt das: Das potenzielle Risiko steigt und fällt mit den jeweiligen Erfolgschancen.
So kann man das nicht sagen. Nur weil etwas keine Nebenwirkungen hat, heißt das nicht, dass es generell nicht wirkt. Allgemein sollten wir zu einer gesamtheitlichen Betrachtung kommen. Gesundheit bedeutet mehr als nur das Ausbleiben von Krankheit. Es geht um Multifaktorielles. Wenn jemand krank wird, geht es meist um viele unterschiedliche Dinge – Ernährung, Bewegung, Lifestyle. Ich sage nicht entweder oder, sondern dass man kombinieren kann. Wenn ich schulmedizinische Mittel mit Naturprodukten kombiniere, kann ich mit der Zeit die klassischen Medikamente vielleicht reduzieren. Und das bedeutet dann eben schon, dass Nebenwirkungen bei bleibendem Erfolg reduziert werden können. Es ist keine Schwarz-Weiß-Malerei. Das gefällt mir so gut am Job der Apothekerin. Wir bewegen uns in Zwischenräumen, müssen einfallsreich sein und vielfältig denken.
Sie beschäftigen sich sehr stark mit körperlicher und psychischer Resilienz, gesunder Ernährung, chronischen Krankheiten sowie Meditation. Einer der Gründe, sich damit verstärkt auseinanderzusetzen, waren Ihre eigenen Migräneanfälle. Wollen Sie die Entwicklung von damals bis heute kurz erläutern?
Mit 18 Jahren hat es begonnen, dass ich erstmals Migräne hatte. Ich bin dann zum Arzt und hab rückblickend betrachtet sehr starke Medikamente bekommen. Zuerst Blutdruckmittel und dann sogar Antidepressiva. Durch die Blutdruckmittel habe ich zugenommen und mich nicht mehr hübsch gefühlt. Als ich die Antidepressiva genommen habe, war ich die ganze Zeit down und müde. Kurzum: Wirklich gut gegangen ist es mir nicht. Als mit 25 mein erstes Kind zur Welt gekommen ist, hat mein Immunsystem extrem verrücktgespielt, was dazu geführt hat, dass ich zwei Autoimmunerkrankungen bekommen habe: Hashimoto und Sjögren. Heute zählen sie zu den häufigsten Autoimmunerkrankungen. Damals hat es ein Jahr gedauert, bis ich richtig diagnostiziert wurde. Zusätzlich hatte ich dann noch Bandscheibenvorfälle. Mit der Zeit habe ich fertigstudiert, noch ein Kind bekommen und war ziemlich gestresst. Und dann haben sich durch all die Medikamente auch meine Nierenwerte verschlechtert. Irgendwann habe ich dann »Stopp« gerufen und durch Yoga sowie Meditation probiert, einen Weg von all dem fort zu finden. Mir wurde klar, dass die ganzen Therapeuten und Ärzte nichts ändern werden, sondern nur ich alleine dazu in der Lage bin. Das war mein gedanklicher Gamechanger. Ich dachte mir nur: Wow, ab jetzt geht es mir gut und ich bin kein Opfer mehr. Dann habe ich begonnen, viel Sport zu machen und mich mit chronischen Erkrankungen sowie Resilienz zu beschäftigen. Man kann selbst viel mehr machen, als man anfänglich vielleicht denkt.
Soll ich nach all den Themen, die wir besprochen haben, zum Abschluss noch eine komplett oberflächliche Frage stellen?
Ja.
Ist man als Eigentümerin einer Apotheke reich?
Zum Leben reicht es.
Und wahrscheinlich darüber hinaus.
Selbstständige Unternehmer im Wirtschaftsbereich haben wahrscheinlich viel mehr Geld als ich.
Letztens habe ich eine Person sagen hören, dass sie durch die letzte Zahnbehandlung die neuen Felgen des Mercedes SLK vom Zahnarzt ermöglicht hat und die Medikamente im Anschluss das Zinshaus vom Apotheker finanzieren. Die Leute dürften also schon das Gefühl haben, dass man in manchen Berufen durchaus sehr gut verdient.
So viel beschäftige ich mich ehrlich gesagt nicht damit. Was ich sagen kann: Ich habe als Selbstständige bisher zwei Apotheken eröffnet und am Anfang ist es wirklich eine Durststrecke. Beides waren Neugründungen, wodurch die Vorarbeit sehr intensiv war. Und dann ist es so, dass man die ersten drei bis fünf Jahre keinen Gewinn hat. Das Warenlager und das Personal fressen am Anfang also die Gewinne. Meine Apotheke in Hietzing läuft jetzt sehr gut. Eröffnet habe ich sie vor zehn Jahren. Davon können die ersten fünf Jahre gleich mal abgezogen werden. Es kommt auch auf die Konstellation an. Wenn man selbst 40 Stunden die Woche arbeitet, kann man sich viel an Personalkosten sparen. Ich habe mich für höhere Personalkosten entschieden, um mir Zeit für ein neues Studium zu nehmen. Aber ja, wenn ein Apotheker gut wirtschaftet, hat er sicherlich keine Geldsorgen.
Lieblings-
Buch: Ich habe weder Lieblingsbücher, Lieblingsfilme, -lieder oder dergleichen. Ich bin so vielfältig, dass ich mich nicht für eines entscheiden kann. Mein Leben ist eine Art Best-of-Sampler. Ich kann viele Bücher zu vielen Lebensabschnitten zählen, die ich zur jeweiligen Zeit sehr geschätzt habe.
Film: siehe »Lieblingsbuch«
Song: siehe »Lieblingsbuch«
Schauspieler/in: siehe »Lieblingsbuch«
Motto: Ich liebe die Vielfalt.
Autor/in: siehe »Lieblingsbuch«
Serie: siehe »Lieblingsbuch«
Stadt: Paris, Wien
Land: Frankreich
Gericht: Spaghetti
Getränk: Habe ich nicht. Ich trinke alles.
Film: siehe »Lieblingsbuch«
Song: siehe »Lieblingsbuch«
Schauspieler/in: siehe »Lieblingsbuch«
Motto: Ich liebe die Vielfalt.
Autor/in: siehe »Lieblingsbuch«
Serie: siehe »Lieblingsbuch«
Stadt: Paris, Wien
Land: Frankreich
Gericht: Spaghetti
Getränk: Habe ich nicht. Ich trinke alles.
Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche
Schönstes: Wir hatten ein Fernsehteam in der Apotheke, und meine ältere Tochter hat sich spontan vor die Kamera gestellt und war danach total stolz auf sich, obwohl sie vorher sehr nervös war. Für mich war es schön zu sehen, wie souverän sie das gemacht hat.
Negativstes: Ein kleiner Streit mit meinem Lebensgefährten. Zum Glück war rasch wieder alles gut.
Negativstes: Ein kleiner Streit mit meinem Lebensgefährten. Zum Glück war rasch wieder alles gut.
Persönliches Mitbringsel
In unserer »Biotheke« haben wir uns auf Nachhaltigkeit und Natur spezialisiert, daher dachte ich daran, eine Pflanze mitzunehmen. Cannabis befindet sich in einer Grauzone, damit passt sie als Symbol sehr gut, weil wir als Apothekerinnen auch immer wieder einen Grenzgang durchschreiten müssen, wie bspw. den zwischen Natur- und Schulmedizin. CBD-Öl ist ein gutes Beispiel, weil es nach wie vor nicht definiert ist. Es ist kein Arzneimittel, aber auch kein Nahrungsergänzungsmittel. Offiziell ist es ein Novel Drug, was das aber konkret bedeutet, ist deswegen auch nicht klar. In unserem Beruf dürfen wir über die Grenzen denken. In gewisser Weise repräsentiert diese Pflanze auch mich, weil ich ein vielseitiger Mensch bin. Meine Großmutter, die 102 Jahre alt geworden ist, meinte einmal: »Wenn es von einer Sache viele verschiedene Meinungen gibt, dann ist die Wahrheit meistens in der Mitte.« Das gefällt mir ganz gut, weil die Wahrheit meist zwischen den Welten liegt. In gewisser Weise ist das also mein Leitsatz. Die Cannabis-Pflanze passt da gut dazu.
Berufswunsch als Kind
Unter anderem wollte ich Schauspielerin werden.
Wen wollten Sie immer schon einmal treffen?
Fällt mir niemand Spezielles ein.
Teenie-Schwarm
Geschwärmt ... ich war in einer Klostermädchenschule. Wir hatten nix, außer die Sendung mit der Maus, dann war es auch schon aus. Aber wen ich sehr lange verehrte habe, war Marilyn Monroe, als Idol.
Café-Bestellung
Ingwer-Honig-Zitronen-Limonade
Ort des Interviews
Café Jelinek
Das Jelinek, dessen Name auf eine jüdische Kaffeesiederfamilie zurückzuführen ist, hat seine Pforten erstmals 1910 geöffnet. Seitdem hat es mehrfach seine Besitzer gewechselt, zuletzt im Jahr 2004. Wer ins Jelinek geht, spürt die alten Zeiten genauso wie den modernen Geist. Und so geben sich Liebhaber des klassischen Altwiener Kaffeehauses und Hipster mit Anflügen von romantisierender Nostalgie gegenseitig die Klinke in die Hand. In den drei Salonen – grün, rot und blau – ist genügend Platz für rund 80 Besucher, womit jeder das für sich richtige Platzerl im passenden Winkerl finden kann. Übrigens: Ein heißer Tipp für die kalte Jahreszeit ist der wärmende gusseiserne Ofen aus den Anfangsjahren des Jelinek.
Das Jelinek, dessen Name auf eine jüdische Kaffeesiederfamilie zurückzuführen ist, hat seine Pforten erstmals 1910 geöffnet. Seitdem hat es mehrfach seine Besitzer gewechselt, zuletzt im Jahr 2004. Wer ins Jelinek geht, spürt die alten Zeiten genauso wie den modernen Geist. Und so geben sich Liebhaber des klassischen Altwiener Kaffeehauses und Hipster mit Anflügen von romantisierender Nostalgie gegenseitig die Klinke in die Hand. In den drei Salonen – grün, rot und blau – ist genügend Platz für rund 80 Besucher, womit jeder das für sich richtige Platzerl im passenden Winkerl finden kann. Übrigens: Ein heißer Tipp für die kalte Jahreszeit ist der wärmende gusseiserne Ofen aus den Anfangsjahren des Jelinek.
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