Katrin Vohland
Generaldirektorin des Naturhistorischen Museums Wien
Leben
21.10.2020
21.10.2020
Kennen Sie den Film »Nachts im Museum«?
Ich weiß, dass es ihn gibt, habe ihn allerdings nicht gesehen.
Es geht darin um ein Museum, dessen Exponate in der Nacht zum Leben erwachen und dem Nachtwächter, gespielt von Ben Stiller, eine Herausforderung der anderen Art bescheren. Wie würde so eine Nacht im Naturhistorischen Museum aussehen?
Ich glaube, dass das sehr spannend wäre, weil es Arten bei uns gibt, die schon längst ausgestorben sind. Wahrscheinlich wäre es für viele Leute aber auch erschreckend, da wir in einer Stadt leben und damit ziemlich weit weg sind von den Erlebnissen in der Natur. Landwirte oder Einwohner eines afrikanischen Dorfes haben ganz andere Zugänge zur Natur, weil sie bedroht sind von manchen Arten. Wir finden es toll, wenn der Wolf oder der Tiger leben. Die müssen aber auf ihr Vieh und ihre Kinder achten. Oder denken Sie an Insekten, die einen stechen und Krankheiten übertragen. Für uns ist das zum Teil sehr weit weg. Man kann bei uns im Museum die Tiere in ihrer Vielfalt in Ruhe genießen. Das ist einerseits sehr schön und andererseits erschreckend, weil einem damit klar wird, wie weit wir von diesem Überlebenskampf eigentlich weg sind. Die Natur hat etwas Ambivalentes.
»Es gibt uns nur, weil die Dinosaurier ausgestorben sind«
Zusammengefasst würde es also sehr wild im Museum zugehen.
(grinst) Ja. Natur ist ja auch, wenn Tiere einander jagen. Im Museum kann man sie allerdings in Ruhe ansehen. Auch Exponate von Tieren, die es in der Form nicht mehr gibt, wie beispielsweise Dinosaurier. Es gibt die Theorie, dass es uns nur gibt, weil die Dinosaurier ausgestorben sind. Das Aussterben hat also die Nische für die Säugetiere eröffnet.
Im Interview mit einem Imker wurde folgende Aussage getätigt: »Wenn der Mensch irgendwann einmal ausgestorben sein wird, wird die Biene noch lange leben.« Sehen Sie das auch so – wird der Mensch bald als ausgestorbene Spezies im Museum ausgestellt werden müssen?
Ich glaube nicht, dass der Mensch so schnell ausstirbt, aber vielleicht verändert er sich in Zukunft. Vielleicht gibt es ihn auch in der jetzigen Form nicht mehr. Bedrohungen sind durchaus vorhanden. Es gibt beispielsweise genügend Akteure, die eine Atombombe besitzen. Damit kann man relativ viele Menschen in relativ kurzer Zeit umbringen. Den Klimawandel gibt es natürlich auch.
Andererseits ist der Mensch unglaublich innovativ. Über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte haben wir immer wieder gesehen, dass es Lösungsmöglichkeiten gibt, sparsamer mit Ressourcen umzugehen. Daher mache ich mir weniger Sorgen. Aber natürlich muss diese Innovation gefördert werden. Wir sind eine globale Gemeinschaft auf der Erde, deren Zusammenspiel gefördert werden muss.
Andererseits ist der Mensch unglaublich innovativ. Über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte haben wir immer wieder gesehen, dass es Lösungsmöglichkeiten gibt, sparsamer mit Ressourcen umzugehen. Daher mache ich mir weniger Sorgen. Aber natürlich muss diese Innovation gefördert werden. Wir sind eine globale Gemeinschaft auf der Erde, deren Zusammenspiel gefördert werden muss.
Innovation in Form einer teils schöpferischen Zerstörung.
Beim Klimawandel ist noch nicht so wahnsinnig viel passiert, weil das noch weiter weg ist und die Leute sich darunter noch nicht so viel vorstellen können. Viele der Szenarien spielen in 100 Jahren – zum Beispiel die Anstiege der Temperatur und des Meeresspiegels. Die Anpassungen allerdings, die aktuell durch Covid stattfinden, passieren in einem unglaublichen Tempo! Also das Veränderungspotential besteht schon. Bezogen auf soziale Praktiken, Wirtschaftswege, Konsummuster, Wege der Kommunikation. Wenn die Menschen etwas wollen, sind sie unglaublich innovativ, auch im Sinne von tatsächlichen Lösungen.
»Wir sind eine globale Gemeinschaft auf der Erde, deren Zusammenspiel gefördert werden muss«
Ihr Anliegen ist ein Wissenstransfer mit der Öffentlichkeit. Sollte es nicht immer das Anliegen eines Museums sein, Wissen durch seine offenen Tore an ein breites Publikum zu vermitteln?
Die Funktion von Museen hat sich in den letzten Jahren erweitert. Wissenstransfer ist ein grundsätzliches Anliegen von vielen Museen. Transfer heißt nicht nur Bildung, auch wenn wir dieses Ziel weiterhin verfolgen. Transfer hat auch die Idee von Rückkopplung. Wir als Forschungsmuseum wollen also nicht nur die erforschte Information nach draußen bringen, sondern wollen auch die Bedarfe, Ideen und Wertehaltungen der Bevölkerung in unsere Forschung integrieren. Dazu haben wir auch ein spannendes Projekt namens »Deck 50«. Dabei geht es beispielsweise um Informationen über den Wolf in all seinen Facetten. Einerseits gibt es das wilde Tier als Erfolg des Artenschutzes, und andererseits gibt es Probleme, die Schäfer damit haben. Allerdings geht es auch um Methoden, wie man mit der Thematik umgeht. Hier wird dann auch aufgenommen, was für Ideen es aus der Bevölkerung gibt. Wir machen zum Beispiel Workshops mit Jägerinnen und Jägern. Der Outcome fließt dann in die Forschung. Es geht also nicht mehr nur darum, zu zeigen, was wir haben, sondern auch darum, Ideen und Vorschläge zu integrieren.
Jeder kann dem Naturhistorischen Museum Ideen diesbezüglich einsenden?
Grundsätzlich, ja. Praktisch ist es etwas komplizierter. Einfach nur einen Aufruf zum Einsenden von Forschungsfragen zu machen würde nicht funktionieren. Man braucht schon einen Rahmen dafür. Es geht darum, mit organisierten Gruppen zu arbeiten, wie beispielsweise Schülergruppen oder NGOs. Wir wollen das Museum auch im digitalen Raum stärker öffnen, also Forschungsdaten auf europäischer und internationaler Ebene stärker verfügbar machen. Diese Daten sollen dann international auch stärker verknüpft werden, ähnlich wie man es jetzt von Covid im wissenschaftlichen Bereich kennt.
Sie wurden von der mittlerweile zurückgetretenen Grünen-Politikerin und Staatssekretärin für Kunst und Kultur Ulrike Lunacek als Nachfolgerin von Christian Köberl, der das Haus zehn Jahre geleitet hat, angekündigt. Für die Stelle gab es sechs österreichische Bewerbungen und eine deutsche. Wie sehr hat Ihre grüne Parteimitgliedschaft in Deutschland dabei geholfen, die Stelle zu bekommen?
Wenn ich ganz ehrlich bin, war es kein Vorteil, sondern gegenteilig. Frau Lunacek war sehr bewusst, dass sie ein Risiko in der Kommunikation eingeht, wenn sie mich beruft. Ich habe mich beworben und bin eingeladen worden. Es gab ein Hearing mit einer Kommission. Und dort habe ich offenbar gut abgeschnitten. Es war kein Geheimnis, dass ich mich beim Bündnis 90 / Die Grünen engagiert habe. Mir hat viel mehr geholfen, dass ich ein modernes Bild von einem Museum habe. Also, was das Museum zu globalen Nachhaltigkeitszielen beitragen kann und wie das Museum im europäischen Raum wirksamer aufgestellt wird. Frau Lunacek ist eine offene Politikerin, die Europa im Blick hat. Ich hatte also die Qualifikation für die Position. Der Shitstorm war dennoch absehbar: Ich bin Deutsche, war beim Bündnis 90 / Die Grünen und bin eine Frau.
Sie scheinen es allerdings ganz gut verkraftet zu haben. Der Shitstorm war nicht allzu groß.
Im Gegensatz zu Deutschland war ich schon überrascht. Ich bin so etwas nicht gewöhnt, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich habe in Deutschland über zehn Jahre ein Projekt geleitet an der Schnittstelle Biodiversitätspolitik und Wissenschaft und hatte damit nie Probleme. Ich kann nachvollziehen, dass Köberl enttäuscht war, da er offenbar davon ausgegangen ist, verlängert zu werden. Es war allerdings ein offenes Verfahren. Seine Enttäuschung wurde von manchen Medien aufgenommen, die allerdings nicht mit mir gesprochen haben. Ich wurde nicht gefragt, was modernes Museumsmanagement aus meiner Sicht bedeutet und welche Qualifikationen ich habe. Vielleicht kann man sich das aber auch nicht erwarten. Es war befremdlich für mich.
Abseits der professionellen Sicht: War’s ein Kulturschock, nach Österreich zu kommen?
Witzigerweise, ja! Je länger ich hier bin, desto mehr! (lacht)
Das Wasser wird nach dem Sprung also kälter statt wärmer.
Na ja, ich hatte ja doch schon einige Kontakte nach Österreich. Wir haben enge Kooperationen mit der BOKU. Auch auf europäischer Ebene gab es bereits Kontakt über die European Citizen Science Association, die ich mitbegründet habe. Demnächst wird auch ein Buch herausgebracht, mit dem Titel »The Science of Citizen Science«, mit einer ganzen Reihe von österreichischen Autorinnen und Autoren. Ich war in der Community also schon oft in österreichischem Kontakt.
Was nun allerdings eine neue Herausforderung ist: Mit den ganzen Titeln zurechtzukommen! In Deutschland schreibe ich, nachdem ich jemanden getroffen habe: »Lieber Herr Maier«, und nicht: »Sehr geehrter Herr Mag. Maier« – wie in Österreich. In Deutschland wäre das ein Affront, wenn ich jemanden schon persönlich kenne. In Österreich gehört es offenbar zum guten Ton. An diese Kleinigkeiten muss ich mich erst gewöhnen. Was noch anders ist: In Deutschland wird einem direkt gesagt, wenn man etwas falsch gemacht hat. In Österreich ist man höflich und bekommt es dann über acht Ecken gesagt.
Was nun allerdings eine neue Herausforderung ist: Mit den ganzen Titeln zurechtzukommen! In Deutschland schreibe ich, nachdem ich jemanden getroffen habe: »Lieber Herr Maier«, und nicht: »Sehr geehrter Herr Mag. Maier« – wie in Österreich. In Deutschland wäre das ein Affront, wenn ich jemanden schon persönlich kenne. In Österreich gehört es offenbar zum guten Ton. An diese Kleinigkeiten muss ich mich erst gewöhnen. Was noch anders ist: In Deutschland wird einem direkt gesagt, wenn man etwas falsch gemacht hat. In Österreich ist man höflich und bekommt es dann über acht Ecken gesagt.
Ist das dann vielleicht sogar ein bisschen zu höflich?
Zu höflich, hm. Ich muss mich erst daran gewöhnen. Vielleicht ist es für meine Kollegen ja auch manchmal ein bisschen anstrengend, wenn ich so direkt bin. Wobei es manche jüngere Kollegen auch schätzen, weil es als eine gewisse Klarheit empfunden wird.
Deutschland und Österreich im Vergleich: Was kann man voneinander lernen?
Was mir schon sehr gefällt, ist die Kaffeehauskultur – so wie wir jetzt hier sitzen. Erst gestern hatte ich zwei Termine im Café. Dieses Miteinanderreden und Austauschen von Argumenten, um sich um Lösungen zu bemühen. Das finde ich schon sehr spannend und konstruktiv.
Sie haben über die Anpassung von Tausendfüßern im amazonischen Überschwemmungswald promoviert. Was kann der Mensch von diesen Tieren lernen?
Da sind wir wieder ein bisschen beim Innovationsthema. Im Amazonasgebiet können nur Tiere überleben, deren Lebenszyklus mit dem Flut-Puls übereinstimmt. Die Regenfälle führen dazu, dass der Pegel im Amazonas relativ regelmäßig steigt und sinkt – bis zu 12 Metern! Bei einigen Arten stimmt der Reproduktionszyklus so weit mit dem Flut-Puls überein, dass die Tiere an den aus dem Wasser herausragenden Baumstämmen überleben können. Ich habe herausgefunden, dass die überlebende Art sich von anderswo tausende Kilometer dorthin verbreitet hat. Keine Ahnung, was der Mensch davon lernen kann. Wahrscheinlich, dass es Gebiete gibt, in denen er nicht klarkommt, weil er die Anpassung dazu nicht hat. Vielleicht würde er nachdenken und kleine Unterwasserhöhlen bauen, um dort zu überleben.
Oder er weicht auf andere Planeten aus.
Das wird wahrscheinlich auch nicht so ohne Weiteres funktionieren, weil der Mensch ein soziales Wesen ist. Wie viele Leute wollen Sie dorthin schicken? Dann haben Sie dort eine kleine Community, in der sich die Leute relativ schnell auf die Nerven gehen.
In Wien hat das Granteln eine gewisse Kultur. Der Unterschied wäre also wahrscheinlich gar nicht so groß. Zum Abschluss: Sie sind für fünf Jahre bestellt. Wie lange wollen Sie Generaldirektorin bleiben und werden Sie Ihre ruhende Parteimitgliedschaft bei den Grünen danach wieder aktivieren?
Ich habe gerade einmal vier Monate hinter mir, es hängt also von der Entwicklung der nächsten Jahre ab, ob ich mich nach fünf Jahren nochmals bewerben werde. Grundsätzlich glaube ich, dass zehn Jahre keine schlechte Zeit sind. In fünf Jahren schafft man nicht alles von dem, was wir uns vorgenommen haben. Nach zehn Jahren hat man vielleicht keine Ideen mehr. Bezüglich der Mitgliedschaft: Schauen wir mal.
Lieblings-
Buch: Unter Leuten (Juli Zeh), Die Gesellschaft der Singularität: Zum Strukturwandel der Moderne (Andreas Reckwitz)
Film: Spiel mir das Lied vom Tod, Babel
Song: Let it be (Paul McCartney)
Schauspieler/in: Ralph Fiennes
Motto: Je ne regrette rien!
Autor/in: Albert Uderzo, René Goscinny
Serie: House of Cards
Stadt: Hamburg
Land: Dänemark
Gericht: Kohlroulade
Getränk: Aperol Spritz
Film: Spiel mir das Lied vom Tod, Babel
Song: Let it be (Paul McCartney)
Schauspieler/in: Ralph Fiennes
Motto: Je ne regrette rien!
Autor/in: Albert Uderzo, René Goscinny
Serie: House of Cards
Stadt: Hamburg
Land: Dänemark
Gericht: Kohlroulade
Getränk: Aperol Spritz
Persönliches Mitbringsel
Es ist ein Armreifen aus Afrika. Ich bin extrem gerne dort und mag die Herzlichkeit der Leute. Der Reifen ist letztendlich Schmuck aus Müll. Es ist ein Beispiel für die vorhin angesprochene Innovation und zeigt, was man aus Abfall alles machen kann.
Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche
Schönstes: Das war ein Strategie-Workshop. Es war einfach spannend zu sehen, wie die Ideen von den Kolleginnen und Kollegen mit dem zusammenpassen, was ich mir vorstelle. Ich habe gemerkt, dass ich nicht viel mehr machen muss, als diese Ideen zu unterstützen.
Negativstes: Eigentlich läufts.
Negativstes: Eigentlich läufts.
Berufswunsch als Kind
Biologie fand ich immer schon spannend.
Wen wollten Sie immer schon einmal treffen?
Christiane Nüsslein-Volhard. Die habe ich auch getroffen. Ich habe sie nach Berlin eingeladen. Sie ist eine der wenigen Frauen, die einen Nobelpreis gewonnen haben. Und dann sogar noch in einem biologienahen Bereich.
Teenie-Schwarm
James Dean
Café-Bestellung
Soda-Zitron
Ort des Interviews
Cook Café & Bistro im Weltmuseum
Das Cook Café & Bistro befindet sich im Weltmuseum am Wiener Heldenplatz und ist damit nur den Wimpernschlag einer Libelle vom Wiener Zentrum entfernt. Der Name soll nicht nur eine Anspielung auf den Koch sein, sondern vor allem auf den britischen Seefahrer, Entdecker und Kartografen James Cook. Während seiner Reisen hat er vor allem auf Karottengelee und eingezuckerte Zitronen geschworen, um Vitamin-C-Mangelerscheinungen vorzubeugen. Sein Nachlass wird im Weltmuseum aufbewahrt, in dessen monumentaler Säulenhalle sich das Café befindet.
Das Cook Café & Bistro befindet sich im Weltmuseum am Wiener Heldenplatz und ist damit nur den Wimpernschlag einer Libelle vom Wiener Zentrum entfernt. Der Name soll nicht nur eine Anspielung auf den Koch sein, sondern vor allem auf den britischen Seefahrer, Entdecker und Kartografen James Cook. Während seiner Reisen hat er vor allem auf Karottengelee und eingezuckerte Zitronen geschworen, um Vitamin-C-Mangelerscheinungen vorzubeugen. Sein Nachlass wird im Weltmuseum aufbewahrt, in dessen monumentaler Säulenhalle sich das Café befindet.
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