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Tom Vogel sitzt in roter Jacke beim Kaffee
 
       
       
Tom Vogel

Gründer eines Gemeinschaftsguts

Leben
17.05.2020
Dr. Tom Vogel ist Allgemeinmediziner und Gründungsmitglied des Vereins »Lebensgut Miteinander« in Rohrbach an der Gölsen bei Lilienfeld in Niederösterreich. Dabei handelt es sich um ein generationsübergreifendes Gemeinschaftsprojekt auf einer Fläche von 16 Hektar – 8 Hektar Wald, 7 Hektar landwirtschaftliche Grünfläche und 1 Hektar verbaute Flächen. Außerdem beinhaltet das Lebensgut eine therapeutische Praxisgemeinschaft, Kinderbetreuung, solidarischen Gemüseanbau, biologischen Kräuteranbau und die Möglichkeit Seminare inkl. Übernachtung abzuhalten.

Du zählst zu den Gründungsmitgliedern des »Lebensgut Miteinander«. Wie kommt man auf die Idee, so ein Projekt zu starten?

In mir gab es die Idee seit ungefähr 15 Jahren. Und zwar im Sinne, eine Landwirtschaft zu verbinden mit sozialen Zwecken. Und in weiterer Folge auch in einem neuen Miteinander der Generationen. Weil ich den Eindruck gehabt habe, dass Landwirtschaft eine irrsinnig gute Plattform ist, ein guter Boden ist, um Menschen und Themen zusammenzubringen. Um gewisse Effekte zu erzielen. Ob es nun in Richtung Gesundheit oder soziale Interaktion geht oder einfach darum, eine gemeinsame Interessensbasis zu haben. Eine gemeinsame Aktivität, die verbindet. Das war mir wichtig.

15 Jahre hat mich das beschäftigt. Dann habe ich das versucht mit einer Gruppe. Daraus ist nichts geworden. Und 2012, nach einer Clowndoktorenreise nach Russland, habe ich mich nochmals entschlossen, das zu probieren. Das war mit meiner damaligen Partnerin, jetzt Ehefrau, und einem zweiten Paar. Das war dann der Prozess von einer wagen Idee zu einem konkreten Konzept. Dieser Prozess hat zweieinhalb Jahre gedauert, bis wir ein geniales Grundstück gefunden haben.
»Zusammenleben ist immer auch Konflikt«

Aktuell gibt es 10 Wohneinheiten am Lebensgut. Wenn Menschen generationsübergreifend, aus verschiedenen sozialen Backgrounds, in unterschiedlichen Beziehungskonstellationen zusammenleben, ist Konflikt vorprogrammiert. Wie darf man sich das vorstellen?

Zusammenleben ist immer auch Konflikt. Und das muss auch ausgetragen werden. Jeder, der schon mal in einer Partnerschaft oder WG gelebt hat oder in die Ursprungsfamilie schaut, weiß, das gehört zum Leben dazu. Ich denke, das ist eine der Kernaufgaben der heutigen Zeit, dass wir zu Konfliktlösungen kommen, die nachhaltig sind. Die nicht zu unterirdischen Gräben führen und damit zu weiterer Distanz und dann auch nicht mehr gekittet werden können. Beziehungsweise, dass das Zusammenleben, das Zusammensein, das Zusammentun nicht in Richtung eines gemeinsamen kleinsten Nenners geht. Sondern in Richtung eines größten gemeinsamen Vielfachen. Dazu braucht es eine ganz starke Motivation, um sich das anzutun.

Wenn es um das Thema »Liebe« geht – und damit meine ich jetzt nicht das Verliebtsein, sondern tiefe Liebesbeziehungen, wo man sich von der Schoko- und der Nicht-so-Schoko-Seite in- und auswendig kennt und trotzdem oder gerade deswegen »Ja« zueinander sagen kann und das Wohlbefinden des anderen für wichtig nimmt –, kann man das vielleicht miteinander vergleichen. Und bei einer Gemeinschaft ist es ähnlich. Da braucht es eine hohe Bereitschaft, Befähigung und Motivation, all diese Konflikte gemeinsam zu lösen. Und daran sind wir am Lebensgut klar gescheitert.
»Ego spielt immer und überall eine Rolle«

Ist das Projekt gescheitert oder einzelne Charaktere beziehungsweise Egos?

Ego spielt natürlich immer und überall eine Rolle, wo Menschen sind. Wenn man mal von Kongressen absieht, wo erleuchtete Menschen teilnehmen. (grinst) Gescheitert sind wir in der Gruppe darin, dass wir es nicht geschafft haben, diese grundlegenden Konflikte so zu lösen, dass es zu einem gemeinsamen Vielfachen gekommen ist. Wir sind bis zu einem gewissen Punkt gekommen, wo schon viel geschafft war. Aber die Summe an aufgestauten Konflikten war dann zu groß im Vergleich zur Motivation, es gemeinsam zu schaffen. Meine Frau und ich als Gründungsmitglieder und eine weitere frühe Teilnehmerin des Projekts sind ausgezogen. Das Projekt an sich besteht noch.

Würdest du sagen, dass, der Satz stimmt, dass solange es zwei Menschen auf der Welt gibt, es auch Krieg geben wird?

Nein, tue ich nicht. Ich glaube, solange zwei Menschen auf der Welt sind, ist es wichtig, dass sie sich ihrer Bedürfnisse und Wünsche bewusst sind und dass sie sich ihrer eigenen Verantwortung diesbezüglich bewusst sind und wissen, dass das, wo das endgültige Ziel liegt, unerschöpflich ist und es deswegen nicht notwendig ist, uns gegenseitig die Schädel einzuschlagen.

Darf bei euch jeder einziehen und mitmachen, solange der Platz reicht?

Aus der Erfahrung zeigt sich, dass es gut ist, ein klares Anforderungsprofil zu zeigen. Wen suchen wir und was sind die Bedingungen für dieses Projekt? Es ist nicht jeder geschaffen für Gemeinschaft. Es geht einerseits darum, es zu wollen, aber auch darum, es zu können. Ein Gründer eines anderen öko-sozialen Projekts aus Deutschland hat einmal gesagt: »Neun von zehn Menschen, die Gemeinschaft suchen, können Gemeinschaft nicht tragen.« Also 90 Prozent. Nach meiner Erfahrung sind es sogar noch mehr. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass Gemeinschaft eine Art Sehnsuchtsort ist für die Menschen. Ein Stamm, eine Gruppe von Menschen, eine Familie oder etwas Familienähnliches, wo ich aufgefangen bin und wo ich integriert bin. Entscheidend ist aber, dass dieses Lebewesen »Gemeinschaft« auch genug Energie braucht, damit es leben kann. Es geht halt nicht, dass 9 Leute saugen und eine Person gibt. Es braucht ein Geben und Nehmen. Und auch die Verantwortung eines jeden Einzelnen zu tragen.
Tom Vogel in roter Jacke beim Kaffee trinken

Und wie schaut dieses konkrete Anforderungsprofil aus?

Es gibt finanzielle Anforderungen. Beim Lebensgut waren das 30.000 Euro Eigenmittel pro Wohnung. In anderen Projekten wird das nach Quadratmetern aufgeteilt.

Dann gab es ein Zusatzfeature, das sogenannte Vermögenspool. Einerseits als Wertanlageform für Menschen, die wirklich nachhaltig ökologisch investieren wollen. Andererseits ist es ein Finanzierungsinstrument, um Dinge umzusetzen. Menschen leihen Geld, und das darf vom Projekt nur für reale Werte investiert werden. Zum Beispiel zum Kauf von Gebäuden oder Liegenschaften oder Renovierungen oder Ähnlichem. So dass es seinen Wert erhält. Und nach einem gewissen vereinbarten Zeitraum wird das wieder zurückbezahlt. Beim Lebensgut waren das 35.000 Euro Finanzverantwortung. Wenn man das Geld hat, kann man das selbst in den Pool legen. Man hat aber auch die Möglichkeit, Menschen zu werben, die ihr Geld anlegen möchten. Man muss es also nicht selber haben.

Und dann gibt es noch die Miete. Wir waren alle Mieter und über den Verein auch Eigentümer.

Und abseits der finanziellen Eckpunkte?

Was es auch braucht, ist die Bereitschaft, sich mit Gemeinschaft auseinanderzusetzen. In unserem Fall war es die Organisationsform der Soziokratie, die wir gewählt haben. Da braucht es die Bereitschaft, sich damit zu beschäftigen und dazu auch zuzustimmen. Also gemeinschaftlich zu entscheiden und nicht eine Person, die sagt, was die anderen zu tun zu haben. Gemeinschaftliche Entscheidungsprozesse sind ziemliche Herausforderungen.

Wie ist dann das Prozedere der Aufnahme? Gibt es ein Probearbeiten? Ein Probewohnen?

Bei uns gab es einen Kennenlern-Fragebogen. Sind die finanziellen Bedingungen gegeben? Was motiviert die Leute und treibt sie an? Uns war wichtig, Menschen zu finden, die die Vision beziehungsweise die soziokratische Mission, die wir umsetzen wollen, auch mittragen wollen und können. Und die nicht einfach sagen: »Ich will eine Wohnung im Grünen und die soll möglichst billig sein.« Sondern, die begeistert sind von dem, was wir gemeinsam machen wollen. Eine gemeinsame Begeisterung, die das gemeinsam tragen kann.

Dann gibt es Kennenlern-Gespräche. Dann gibt es Entscheidungen über eine Probe-Mitarbeitsphase, die über ein halbes oder dreiviertel Jahr geht. Und dann hat’s noch ein Start-Wohnjahr gegeben, wo man geschaut hat, wie das alltägliche Zusammenleben und Zusammenarbeiten ist.

Und nach dem Jahr?

Nach dem Jahr gibt es die Entscheidung, ob jemand als Vollmitglied aufgenommen wird.

Und wenn nicht, bekommt er oder sie das Geld, die 30.000 Euro, wieder aliquot zurück?

Genau so ist es.
Dr. Tom Vogel mit Kaffee

Wie hoch war über die Jahre die Fluktuation an Leuten, die dazugekommen und dann wieder gegangen sind?

Da wir recht strikt waren in der Auswahl von Menschen, war die Fluktuation recht niedrig. Es hat viele grundlegende Interessenten gegeben. Sobald bekannt war, was die Bedingungen sind, hat sich das rasch reduziert.

Da für mich Smalltalk langweilig ist, habe ich vor Jahren angefangen, auf Partys die Frage zu stellen, was die Menschen mit ihrem Leben machen wollen. Ganz viele haben gesagt, dass sie von einem Gemeinschaftsprojekt träumen, am besten auf einem Bauernhof. Das ist genau das, wovon sie träumen. Und dann hat es sehr oft Rückzieher gegeben. Es konkret zu leben ist was anderes, als nur davon zu reden. Das war für mich ein bisschen frappierend, dass viel weniger Menschen bereit sind für diese Lebensform, als ich gedacht habe.

Hattet ihr als Lebensgemeinschaft auch mit Vorurteilen zu kämpfen? À la: Das sind halt ein paar weltverbessernde Alt-Hippies, die sich als Sekte zusammentun und im Wald leben.

Ja, natürlich. Ich habe schon gewusst, dass viele Menschen das dann als Hippie-Kommune oder andersartige Kommune oder Sekte oder Derartiges sehen. Wo dann jeder mit jedem Sex hat oder den ganzen Tag gekifft wird oder beides. Oder wo man sich irgendeinem eigenartigen Guru anhängt.
»Ich glaube, in eine lebenswerte Zukunft geht es nur gemeinsam«

Ideen von alternativen Lebenskonzepten haben immer wieder einmal Hochkonjunktur. Was sagst du Menschen, die beispielsweise in Wien im Gemeindebau wohnen und nach diesem Interview auf den Geschmack gekommen sind, sich beim Lebensgut in Rohrbach oder bei anderen Gemeinschaften zu melden?

Ich glaube, in eine lebenswerte Zukunft geht es nur gemeinsam. Gemeinschaftliches Leben ist eine große Herausforderung. Es erfordert viel Bereitschaft für persönliches Wachstum. Eben auch dran bleiben, wenn es schwierig wird. Ich glaube, es ist wichtig, sich klar zu machen, wofür man auf der Welt ist. Was will ich bewegen? Wofür will und kann ich Verantwortung übernehmen? Will ich was zum Thema Landwirtschaft und Konsum bewegen? Wie wachsen Kinder auf? Wie gehen wir mit unseren alten Menschen um? Wie schauen wir auf die Themen Gesundheit und Krankheit? Dementsprechend sollte dann das Gemeinschaftsprojekt gesucht werden, wo das möglichst umgesetzt wird entsprechend dieser Linien, die es gibt.

Jeder meiner Interviewpartner kann ein persönliches Mitbringsel zum Gespräch mitnehmen. Was ist deines?

Mein Siegelring. Der besteht aus meinem Wappen, das ich mir selber gemacht habe. Dieses Wappen enthält eine Weinrebe, eine Schlange, einen Falken und im Hintergrund die Sonne. Die Weinrebe ist für mich Symbol einerseits für Erdverbindung als auch für Wachstum und kultivierten Genuss im Leben. Die Schlange ist sowohl Symbol der Weisheit als auch der Erde. Pachamama in Südamerika. Und in der Medizin auch Symbol für die Medizin. Die Dosis macht das Gift. In meiner Form der Medizin, in der Homöopathie, sind ja auch Schlangengifte in Verwendung. Der Falke ist Symbol der Klarheit, des Fokus, der Freiheit und des Anpackens. Und die Sonne ist dabei als Symbol dessen, was Energie und Kraft spendet. Sozusagen als Verweis auf eine gewisse Urkraft bzw. Urschöpferkraft. Die ist für mich Grundlage des Lebens und bedeutet für mich eine Grundausrichtung, ohne es jetzt irgendeiner Religion zuzuordnen.
Siegelring von Tom Vogel

Lieblings-

Buch: Eine kurze Geschichte des Kosmos (Ken Wilber)
Film: Schwierig ... viele
Song: Gutes tun (Fanny van Dannen)
Schauspieler/in: Roberto Benigni
Motto: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es
Autor/in: Wolf Haas
Serie: Star Trek: The Next Generation
Stadt: Wien
Land: Österreich
Gericht: Rehbraten
Getränk: Am liebsten mag ich Menschen, die mir reinen Wein einschenken. Aber Gin geht auch.

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Schönstes: Das schönste Erlebnis war, dass mein Sohn mir nach dreieinhalb Jahren das erste Mal, als ich nach Hause gekommen bin, freudig entgegengerannt ist und »Hallo, Papa.« gesagt hat und mich in den Arm genommen hat. Das waren dreieinhalb Jahre harte Arbeit. Obwohl ich gewusst habe, dass dieser kleine, wunderbare Mensch mich total lieb hat, war es trotzdem ein langer Weg, dass er mir in der Rolle als Vater das in dieser Form sagen wollte und konnte.

Negativstes: Das Schlimmste in der letzten Woche war wieder einmal zu realisieren, dass ich acht  Jahre ganz konkret an einem großen Lebenstraum gearbeitet habe, den in die Welt zu setzen und zu verwirklichen als ganz zentrales Element für mein restliches Leben und damit gescheitert zu sein.

Berufswunsch als Kind

Gab’s verschiedene. Einer war Tiergartenarchitekt. Dann Tierforscher bzw. Wildtierbiologe. Dann Tierarzt. Und dann hat es sich quasi zum Arzt entwickelt.

Wen wolltest du immer schon einmal treffen?

Ken Wilber, Mahatma Ghandi, Nelson Mandela, Greta Thunberg, Josef Hader, Rainer Maria Rilke, Johanna Dohnal, Maria Montessori, Rebeca Wild, Pyar Troll

Teenie-Schwarm

Schul- und Tanzschulflammen

Kaffeehaus-Bestellung

Großer Brauner

Ort des Interviews

Klein, aber oho! So kann man das »Dabov Specialty Coffee Wien« in der Josefstädter Straße im 8. Wiener Gemeindebezirk wohl am besten beschreiben. Die Josefstädter Straße ist bekannt für ihre Vielfältigkeit an Boutiquen, Geschäften, Frisören, Restaurants, Seitenstraßen mit Märkten, das Theater in der Jostefstadt und eben Cafés. Und das Dabov ist eines davon. Mit seinen zehn unterschiedlichen Kaffeeröstungen reiht es sich perfekt in die Vielfalt der Einkaufsstraße ein. Mit Kaffees aus Uganda, Äthiopien, Honduras, Kenia und Brasilien ist garantiert für jeden etwas dabei.