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Trauerredner James Houston im Gespräch mit Talkaccino
 
       
       
James Houston

Trauerredner

Leben
16.06.2020
James Houston ist Trauerredner. Eine Trauerrede kann als Abschiedsgruß oder Nachruf verstanden werden, jedenfalls als Würdigung mittels letzter Worte während eines Begräbnisses. Diese Worte übernimmt James Houston nach einem Gespräch mit den Angehörigen und Verbliebenen. Wie er sich darauf vorbereitet, vor welchen Herausforderungen er dabei steht und was bei seinem eigenen Begräbnis gesagt werden soll, erzählt er im Interview.

Wenn man mit dem Tod Geschäfte macht, freut man sich dann über ihn?

Nein. Der Tod ist nach wie vor etwas, das nimmt. Das ist nicht erfreulich. Ich möchte auch berichtigen: Ich mache keine Geschäfte mit dem Tod. Ich leiste einen Dienst bei einer Trauerfeier. Das heißt, der Tod ist für mich nebensächlich. Ich bin Dienstleister bei einer Zeremonie. Also, es ist kein Geschäft mit dem Tod. Es ist nicht so, dass das Leben für mich einen Preis hätte, nämlich den, den ich verlange für die Trauerrede. Ich bin in dem Beruf, weil es ein erfüllender Beruf ist. Als Dienstleister in dieser Zeremonie kann ich für die Hinterbliebenen etwas Schönes tun.

Dem Wiener sagt man oftmals ein ganz eigenes Naheverhältnis zum Tod nach. Wahrscheinlich nicht zuletzt auf Grund der Zeile »Der Tod, das muss ein Wiener sein« von Georg Kreisler. Was sind Ihre Erfahrungen und Zugänge als Trauerredner?

Die schöne Leich. (schmunzelt) Die schöne Leich ist tot. Der Wiener trauert nicht mehr so wie früher. Er zelebriert es nicht mehr. Alles wird schneller. Alles dreht sich schneller. Alles geht in eine Routine. Alles wird ins Digitale gedreht. Die Leute sind getrieben von der Gesellschaft, von ihrer Arbeit und vom Leben selbst. Alles wird schneller, und so auch der Abschied.
»Mein Urgroßvater war noch a schöne Leich«

Schneller heißt dann: auch weniger tiefer gehend oder weniger gefühlvoll?

Es wird schon getrauert, aber es wird nicht mehr öffentlich zelebriert. Jeder versucht sich zu verstecken. Die großen Leichenzüge, die es früher gab, gibt es nicht mehr. Als mein Urgroßvater begraben wurde, ist halb Meidling quer durch Meidling gegangen. Da gibt es ein Foto mit einer Kutsche und dahinter eine kilometerlange Schlange. Sowas habe ich noch nie erlebt und ich bin 15 Jahre im Geschäft. Das war noch a schöne Leich. Mein Urgroßvater war noch a schöne Leich! (lacht)
»Viele Angehörige sind überfordert ein Leben in Worte zu fassen«

Wie bereitet man sich auf eine Trauerrede vor und wie unterscheiden sich die Wünsche der Angehörigen bzw. Hinterbliebenen?

Die wenigsten Angehörigen bereiten sich vor oder nehmen sich Zeit. Für die Zeremonie schon, aber nicht für die Vorbereitung. Ich habe eher das Gefühl, dass es für viele unangenehm ist, eine Beerdigung zu organisieren oder die Hauptangehörigen einer Beerdigung zu sein. Weil sie in der ersten Reihe sitzen, im Mittelpunkt stehen. Die Leute stehen nicht gerne im Mittelpunkt. Viele sagen, sie wollen, dass das so schnell wie möglich vorbeigeht. Die wenigsten haben daher die Idee, wie man eine schöne Trauerfeier gestalten kann. Hier fehlt die Fantasie. Einmal habe ich erlebt, dass statt Erde Schnapskarten ins Grab nachgeworfen wurden. Das ist aber selten, dass es so persönlich wird. Viele sind überfordert, persönliche Informationen über das Leben preiszugeben. Ein Leben in Worte zu fassen. Hier müssen wir als Trauerredner mit Fragen unterstützen.
»Die Würde der Toten ist unantastbar«

Welche Wünsche von Angehörigen und Hinterbliebenen lehnen Sie ab?

Ich bin kein Instrument, um Familienstreitigkeiten auszutragen. Ich richte nicht im Namen der Stieftöchter den Söhnen aus, dass sie sich nicht um den Vater gekümmert haben. Ein Nachruf oder eine Trauerrede ist nicht dazu da, um Gräben in der Familie aufzureißen. Was wir auch nicht machen, ist, den Toten in irgendeiner Form bloßzustellen. Die Würde der Toten ist unantastbar. Auch wenn er der größte Hallodri aller Zeiten war. Es wird alles ein bisschen gebügelt. Niemand wird heilig gesprochen, aber es wird auch niemand verteufelt.

Wie stark wird das Bild der Verstorbenen in einer Trauerrede verklärt? Wie viel vom Leben wird beschönigt?

Es waren schon Mörder oder Vergewaltiger bei Verstorbenen dabei. Das wurde nicht erwähnt. Da waren teilweise Sachen dabei, bei denen man sich schon fragt, wie die Familie das ausgehalten hat. In solchen Fällen werden zum Schutz der Familie manche Dinge dann einfach nicht genannt. Die, die es wissen, wissen es eh. Und die, die es nicht wissen, die müssen es nicht wissen. Eine Trauerfeier ist auch ein Glätten, wenn es sehr eckig wird.

Wie sind Sie Trauerredner geworden?

Ich war bis 2005 bei einem großen Telekommunikationsunternehmen Leiter einer Stabstelle. Auf Grund von Burnout-Anzeichen und Stress die Jahre davor wollte ich aus dem Management aussteigen und habe gekündigt. Ich wollte nicht am Friedhof enden, zumindest noch nicht tot! (lacht) Das war die Zeit, als ich meine damalige Noch-Nicht-Frau kennengelernt habe. Ihr Vater, und mein damit nie gewordener Schwiegervater, ist verstorben. Ich habe in der Kirche bei der Beerdigung Briefe der Töchter vorgelesen und eine kurze Rede gehalten. Das hat großen Anklang gefunden. Alle haben gemeint: tolle Stimme. Nach meiner Kündigung wollte ich ohnehin etwas mit meiner Stimme machen, wie beispielsweise Radio oder Werbeaufnahmen. Und meine Frau meinte, wenn ich ohnehin etwas mit meiner Stimme machen will und das so gut angekommen ist, warum dann nicht auch professionell. Ich kannte jemanden bei der Bestattung Wien und habe festgestellt, dass das ein sehr erfüllender Beruf ist. Und man kann sein Leben damit finanzieren, was ich mir anfangs überhaupt nicht vorstellen konnte.
James Houston im schwarzen Anzug gestikulierend

Würden Sie für verstorbene Menschen aus Ihrem Umfeld selbst sprechen?

Prinzipiell rate ich davon ab. Weil man eben emotional involviert ist. Ich kann dazu auch eine Geschichte erzählen. In jungen Jahren war ich Musiker und habe in einer Band Schlagzeug gespielt. Die Band hat sich aufgelöst und wir sind alle unsere Wege gegangen. Eines Tages habe ich einen Auftrag bekommen und mir ist der Name sehr bekannt vorgekommen. Vor Ort habe ich dann erfahren, dass es der Sänger der damaligen Band war. Ein Motorradfahrer, der beim Motorradfahren verstorben ist. Ich habe das erst eine Viertelstunde vor der Rede erfahren. Da war es dann allerdings zu spät zu sagen, dass ich das nicht machen kann. Ich habe die Trauerrede dann zum Teil unter Tränen gehalten. Es war damit nicht das, was es sein soll. Ein Trauerredner wird gebucht, um den Angehörigen einen schönen Abschied zu bereiten, weil er eben die Distanz hat und sich nicht involvieren lässt.

Wie viele Trauerreden haben Sie in den 15 Jahren Ihrer Tätigkeit gehalten?

Circa 5.000 werden es gewesen sein.

Wird man mit der Zeit morbide? Entwickelt man eine Form der Abgebrühtheit?

Die Abgrenzung wird zur Routine. Es ist kein Energieaufwand mehr notwendig, um sich abzugrenzen. Man muss nicht mehr daran denken, sich nicht zu involvieren. Man ist nach all den Jahren ausschließlich darauf fokussiert, eine schöne Rede zu halten.

Was soll auf Ihrem Begräbnis gesagt werden?

Ich kann sagen, was nicht gesagt werden soll. Nämlich genau das, was alle in ihren Trauerreden gerne hören möchten: hilfsbereit, tierlieb und naturverbunden. Das will ich nicht hören. Ansonsten: »I did it my way!«

Lieblings-

Buch: Emil und die Detektive (Erich Kästner)
Film: König der Fischer, Dark Star
Song: Take hold of the flame (Queensrÿche)
Schauspieler/in: Jeff Bridges
Motto: Aufstehen, Krone richten, weitergehen.
Autor/in: Stephen Hawking
Serie: The Walking Dead
Stadt: Wien
Land: Österreich
Gericht: Marmeladepalatschinken
Getränk: Wasser

Persönliches Mitbringsel

Ich habe die Haare früher bis runter zum Steißbein gehabt. Bevor ich mir die habe abschneiden lassen, habe ich mir einen Zopf machen lassen. Den habe ich immer noch. Der hängt zu Hause. Das ist ein Teil von mir. Ein sehr wichtiger Teil. Ich habe drei Versuche gebraucht, um die Haare wirklich so lange wachsen zu lassen. Das war ein Lebensziel aus meiner Jugendzeit. Gelungen ist es mir mit 30. Das ist ein Meilenstein und Erfolgserlebnis in meinem Leben. Das könnte man mir vielleicht in den Sarg legen.

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Das schönste war etwas Berufliches. Das negativste etwas Privates.

Berufswunsch als Kind

Tischler lernen und Feuerwehrmann werden.

Wen wollten Sie immer schon einmal treffen?

Jesus von Nazareth

Teenie-Schwarm

Das war die Andrea. Und später die Hannelore.

Kaffeehaus-Bestellung

Espresso

Ort des Interviews

k-.u.-k.-Hofzuckerbäckerei L.Heiner
Die Hochzuckerbäckerei Heiner ist ein Familienbetrieb und besteht mittlerweile in sechster Generation mit Filialen in Wien und Niederösterreich. Für das oben stehende Interview wurde in der Filiale direkt neben dem Zentralfriedhof – am Tor 4 –Platz genommen.